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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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wie Autos.
    Salagnon, der erschöpft im Gras lag, sah zu, wie das Lager aufgebaut wurde, die Fahrzeuge heranfuhren und ein paar hundert Männer mit dem Einrichten zugange waren. Abgerundete Panzer mit der Form von Lurchen, geländegängige Wagen ohne scharfe Kanten und kurzschnäuzige, kompakte Lastwagen fuhren an ihm vorüber, und die Soldaten trugen weite Kleidung mit rundem Helm und Pluderhosen, die bis über die Schnürstiefel reichten. Alles hatte eine dunkelgrüne, leicht schlammige Froschfarbe, als kämen sie gerade aus einem Teich. Das amerikanische Kriegsmaterial greift organische Formen auf, dachte er; es ist konzipiert wie eine muskelbedeckende Haut, man hat ihm Formen gegeben, die dem menschlichen Körper gut angepasst sind. Die Deutschen dagegen denken in grauen Volumen, ihr Design ist schöner, klarer und unmenschlicher, wie ein eiserner Wille; kantig wie unwiderlegbare Argumente.
    Mit leerem Kopf sah Salagnon Formen. Sein Hirn war unbeschäftigt, und schon meldete sich sein Talent wieder. Er sah zunächst nur Linien, denen er mit feiner, stummer Aufmerksamkeit folgte, wie man es normalerweise mit den Händen tut. Das Soldatenleben erlaubte solche Geistesabwesenheiten, es drängte sie sogar jenen auf, die gar nicht so sehr darauf erpicht waren.
    Der Colonel, ein äußerst besinnlicher Mensch, versammelte seine Männer um sich. Er ließ die Toten holen, die in der von Geschossen aufgewühlten Wiese und in den eingestürzten Häusern zurückgelassen worden waren. Die Maquisarden brachten die Verwundeten ins Feldlazarett. Salomon Kaloyannis kümmerte sich um alles. Der Stabsarzt empfing, organisierte, operierte. Dieser kleine, leutselige Mann schien durch den simplen Kontakt seiner sanften Hände, die ständig in Bewegung waren, zu heilen. Mit seinem ulkigen Akzent – dieses Wort kam Salagnon in den Sinn – und viel zu vielen Sätzen ließ er die Schwerverwundeten im Lazarettzelt unterbringen und die anderen auf im Gras aufgestellte Segeltuchstühle setzen. Er rief immer wieder einen großen schnauzbärtigen Typen, den er Ahmed nannte und der jedes Mal mit sehr sanfter Stimme »Ja, Herr Doktor« erwiderte. Dieser gab dann die Befehle in einer anderen Sprache, die wohl Arabisch war, an andere Typen von bräunlicher Hautfarbe wie er weiter, Krankenträger und Krankenpfleger, die sich tatkräftig mit durch die Gewohnheit vereinfachten Gesten um die Verwundeten kümmerten. Ahmed, der mit seinem großen Schnurrbart und seinen buschigen Augenbrauen furchteinflößend wirkte, pflegte alle mit großer Sanftheit. Ein junger Maquisard mit einer Armverletzung, der seit Stunden nichts gesagt hatte und nur, von der Wut gestärkt, seinen blutigen Arm an sich gepresst hatte, brach in Tränen aus, sobald Ahmed die Wunde mit einer feuchten Kompresse betupfte, um sie zu reinigen.
    Eine Krankenschwester im Kittel brachte aus dem Zelt Verbandszeug und Fläschchen mit Desinfektionsmitteln. Sie versorgte die Verwundeten mit melodischer Stimme und gab in entschiedenem Ton die Anweisungen des im Zelt beschäftigten Stabsarztes an die Krankenpfleger weiter; diese pflichteten ihr mit ihrem starken Akzent bei und lächelten, wenn sie vorüberging. Sie war noch sehr jung und hatte eine Figur voller Rundungen. Salagnon, der alles gerade nur in Formen wahrnahm, verfolgte sie verträumt mit dem Blick und gab sich ganz seinem Talent hin. Sie bemühte sich, eine zugeknöpfte Haltung zu wahren, doch es gelang ihr nicht. Eine Strähne fiel ihr aus dem straff zurückgekämmten Haar, ihre Formen drohten den hochgeschlossenen Kittel zu sprengen, ihre sinnlichen Lippen straften die ernste Miene Lügen, die sie aufzusetzen versuchte. Die Weiblichkeit entwischte ihr, erstrahlte in all ihren Bewegungen, entfloh ihr bei dem geringsten Atemzug; dennoch versuchte sie, ihre Rolle als Krankenschwester so gut wie möglich zu spielen.
    Alle Männer des motorisierten Zuavenregiments kannten sie mit Namen. Wie alle anderen gab sie ihr Bestes in diesem Sommer-Krieg, den sie nur gewinnen konnten, sie hatte sich ihren Platz unter ihnen verdient, sie war Euridice, die Tochter von Dr. Kaloyannis, und alle grüßten sie jedes Mal, wenn sie ihr begegneten. Victorien Salagnon sollte nie herausfinden, ob die Tatsache, dass er sich in jenem Moment in Euridice verliebte, auf die äußeren Umstände oder auf sie selbst zurückzuführen war. Aber vielleicht sind die Menschen ja nur das, was die Umstände aus ihnen machen. Hätte er sie in den Straßen von Lyon

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