Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
unmerklichen Kopfbewegung verabschiedeten sie sich in getrennte Richtungen. Sie entfernten sich, ohne sich umzublicken, spürten aber beide um sich herum die Aufmerksamkeit des anderen, der sie wie ein Schleier, ein Mantel, ein Laken einhüllte und jede Bewegung verfolgte.
Am Nachmittag fuhren sie mit einem Lastwagen los, um die Toten zu holen. Brioude konnte fahren und saß am Steuer, die anderen hatten sich neben ihn auf die Sitzbank gequetscht: Salagnon, Rochette, Moreau und Ben Tobbal, wie Ahmed mit Familiennamen hieß. Brioude hatte ihn danach gefragt, ehe sie gemeinsam in den Lastwagen stiegen. »Ich möchte dich nicht beim Vornamen nennen, weil ich sonst das Gefühl habe, mich an ein Kind zu wenden: Und mit dem Schnurrbart, den du hast …« Ahmed hatte »Ben Tobbal« zu ihm gesagt und dabei seinen Schnurrbart zu einem breiten Lächeln verzogen. Brioude nannte ihn nur noch so, aber er war der Einzige. Das ging nur auf seine Vorliebe für Ordnung zurück und sein etwas schroffes Bekenntnis zum Egalitarismus, aber er dachte schon nicht mehr daran. Die Sommerluft drang durch die Fenster mit dem Geruch von warmem Gras herein; sie fuhren an Weiden entlang, die die Saône säumten, rumpelten über steinige Wege. Sie hielten sich fest, so gut sie konnten, hüpften auf der Sitzbank auf und ab, stießen gegeneinander und bemühten sich, Brioudes auf dem Ganghebel ruhende Hand nicht anzurempeln. Sie hatten alle zerzaustes Haar von der wirbelnden heißen Luft im Fahrerhaus.
Brioude sang beim Fahren vor sich hin, sie würden die Leichen einsammeln und die Toten zurückbringen. Das war eine der Aufgaben, die Naegelin den Irregulären des Colonels anvertraute, und wenn er dessen Dienstgrad nannte, sprach er ihn gleichsam in Anführungszeichen aus, mit einer kleinen Pause vor dem Wort und so etwas wie einem Augenzwinkern danach.
Sie fuhren mit dem Lastwagen durch das Saône-Tal, das wie ein flämisches Gemälde wirkte, mit hellgrünen Feldern, die von etwas dunkleren an Wollfäden erinnernde Hecken durchzogen waren. Am blauen Himmel zogen schneeweiße Wolken mit glatter Grundfläche vorüber, und darunter befand sich die Saône, die sich eher ausbreitet als dass sie fließt, ein sich träge voranbewegender bronzefarbener Spiegel, in dem die Widerspiegelungen des Himmels mit dem Grau von Tonerde verschmelzen.
Am Ufer des Wassers brannten mehrere grüne Panzer. Das Land hatte nichts von seiner Schönheit und auch nicht von seiner Weite verloren; es waren hässliche Dinge auf diese unversehrte Landschaft gesetzt worden. Panzer brannten im Gras wie riesige Wiederkäuer, die an der Stelle zur Strecke gebracht worden waren, wo sie grasten. Auf einer Anhöhe, die die Weiden beherrschte, überragte ein auf die Seite gekippter Tiger-Panzer mit weit geöffneter, geschwärzter Einstiegsluke eine Hecke.
Über die Buckel der Weide holpernd fuhren sie um die grünen Panzer herum, die alle einen Einschlag unter dem Drehturm aufwiesen; und jedes Mal waren die nicht hinreichend gepanzerten Shermans von der Wirkung einer Hohlladung hochgezuckt und von innen explodiert. Ihre im Gras zurückgelassenen Wracks brannten noch immer. Ringsumher schwebte ein fettiger Gestank, der in der Kehle kratzte, ein Rauch, in dem der Geruch von verbranntem Gummi, Benzin, heißem Metall, Sprengstoff und noch etwas anderem vermischt war. Dieser Geruch setzte sich in der Nase fest wie Ruß.
Auf der Herfahrt hatten sie gehofft, Leichen zu finden, die wie im Schlaf ausgestreckt waren, von Schnittwunden gezeichnet, mit sauber abgerissenen Körperteilen oder fehlenden Gliedmaßen. Doch was sie hier einsammeln mussten, glich eher ins Feuer gestürzten Tieren. Das Volumen hatte abgenommen, die Starre der Gliedmaßen erleichterte den Transport, aber erschwerte die Unterbringung. Alle fragilen Teile des Körpers waren verschwunden, die Kleider nicht wiederzuerkennen. Die jungen Männer hoben die Leichen auf wie Holzscheite. Wenn einer dieser Rümpfe sich rührte oder mit dünner Stimme etwas von sich gab – woher diese Worte kamen, wussten sie nicht, denn kein Mund erlaubte ihnen mehr zu artikulieren –, ließen sie ihn erschrocken fallen. Sie blieben mit weißem Gesicht und zitternden Händen ringsumher stehen. Dann näherte sich Ben Tobbal und kniete mit einer Spritze in der Hand neben ihm nieder. Er setzte die Nadel an jener Stelle der Brust an, wo auf dem verbrannten Stoff noch Reste von Tressen zu erkennen waren, und injizierte etwas Flüssigkeit. Die
Weitere Kostenlose Bücher