Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Niemand schien die Kolonnen von gepanzerten Fahrzeugen bemerkt zu haben, die am frühen Morgen in die aufsässigen Viertel fuhren. Niemand wunderte sich über den Einsatz einer gepanzerten Kolonne in Frankreich. Man hätte darüber sprechen können. Man hätte vom moralischen Standpunkt aus darüber diskutieren können: Ist es gut, dass eine militärisch organisierte Einsatzgruppe der Polizei in einer Wohnung auftaucht, nachdem sie die Tür eingeschlagen hat, nur um ein paar Rotznasen festzunehmen? Ist es gut, alle brutal zu behandeln, viele von ihnen festzunehmen und anschließend alle wieder laufen zu lassen, weil ihnen nichts Ernstes vorgeworfen werden kann? Ich sage »gut«, weil die Diskussion auf einem möglichst grundlegenden Niveau geführt werden müsste.
Man könnte über die Praxis diskutieren: gepanzerte Kolonnen kennen wir gut; das erklärt, warum niemand sie bemerkt. Die in fernen Ländern geführten Kriege haben wir so geführt, und wir haben sie aufgrund der Praxis der gepanzerten Kolonnen verloren. Durch die Panzerung fühlen wir uns geschützt. Wir haben alle brutal behandelt; wir haben viele getötet; und wir haben die Kriege verloren; wir. Alle.
Die Polizisten sind jung, sehr jung. Man schickt junge Leute in gepanzerten Kolonnen los, um Sperrgebiete wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie richten großen Schaden an und ziehen sich wieder zurück. Wie damals. Die Kunst des Krieges ändert sich nicht.
ROMAN IV
Die ersten Male und was darauf folgte
V ictorien und Euridice gingen zwischen den Reihen parkender Panzer davon. Es war Nacht, aber eine nicht sehr dunkle Sommernacht mit sternklarem Himmel und Mondlicht, vom Sirren der Insekten und den Geräuschen des Lagers erfüllt. Mit seiner Empfänglichkeit für Formen war Salagnon begeistert von der Schönheit der Panzer. Sie ruhten mit der Starre ihrer fünf Tonnen Stahl wie schlafende Ochsen, und ihre Masse schien Wellen auszustrahlen, denn man brauchte sie nur zu sehen, durch ihren Schatten zu gehen oder sie mit dem Finger streifen, um das Gefühl von etwas tief in der Erde verankertem Unerschütterlichen zu empfinden. Sie bildeten jeder eine Grotte, in deren Inneren nicht Schlimmes geschehen konnte.
Dabei wusste Salagnon ganz genau, dass diese Kraft niemanden rettete. Er hatte Stunden damit verbracht, die Reste toter Panzersoldaten aufzulesen, zusammenzutragen und sie in Kisten zu legen, bei denen man am Schluss nicht mehr wusste, von wie vielen Soldaten sie Leichenteile enthielten. Panzerungen, Festungen, Rüstungen, man fühlt sich geschützt, aber es ist dumm, das zu glauben: Die beste Art, sich töten zu lassen, ist daran zu glauben, sich an einem sicheren Ort zu befinden. Victorien hatte gesehen, wie leicht Panzerungen sich durchbohren lassen, denn es gibt zahlreiche Geschosse, die das vermögen. Man hat kindliches Vertrauen in die Eisenplatte, hinter der man sich versteckt. Sie ist dick, sehr schwer, völlig undurchsichtig, und daher glaubt man, dass einem nichts passieren kann, solange man nicht gesehen worden ist. Hinter dieser dicken Platte ist man jedoch zu einer Zielscheibe geworden. Hüllenlos ist man nichts; aber von einem Gehäuse geschützt stellt man ein Ziel dar. Man schlüpft zu mehreren in eine Blechdose. Man sieht die Außenwelt durch einen Schlitz, nicht größer als der eines Briefkastens. Man sieht schlecht, man fährt langsam, man ist gemeinsam mit anderen Typen in eine vibrierende Blechdose gepfercht. Man sieht nichts, und daher glaubt man, man würde nicht gesehen; das ist kindisch. Man sieht nichts anderes als dieses große Ungeheuer im Gras; es wird zur Zielscheibe. Und man befindet sich im Inneren. Die Gegner machen sich verbissen daran, es zu zerstören, sie erfinden die dazu erforderlichen Mittel: Kanonen, Minen, Dynamit; quer über eine Straße ausgehobene Gräben, von Flugzeugen abgeschossene Raketen. Alles, bis sie es zerstört haben. Und dann endet man zermalmt, mit Eisentrümmern vermischt, in dieser wie mit einem Vorschlaghammer geöffneten Dose Corned-Beef, die auf dem Boden zurückgelassen wird.
Salagnon hatte gesehen, was von den Zielscheiben übrig blieb. Weder Stein noch Eisen schützen vor Schlägen. Wenn man hüllenlos bleibt, kann man zwischen anderen hüllenlosen Menschen wegrennen, und die auf gut Glück abgefeuerten Kugeln können zögern und ihr Ziel verfehlen; die Wahrscheinlichkeit schützt besser als dicke Panzerungen. Hüllenlos wird man übersehen, aber von einem Panzerfahrzeug geschützt,
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