Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
das für die Aufrechterhaltung der Ordnung erforderliche schwere Material befand. Die Kolonne teilte sich vor den Wohnsilos, eine Hälfte machte dort halt und die andere fuhr weiter. Ein paar Fahrzeuge hielten gegenüber der Bushaltestelle, in der ich darauf wartete, dass die Nacht allmählich zu Ende ging. Beamte der Bereitschaftspolizei stiegen aus, sie trugen einen Helm, deutlich sichtbare Waffen und einen Schild. Die Bein- und Schulterschützer veränderten ihre Silhouette und verliehen ihnen im metallgrauen Halbdunkel des frühen Morgens die Statur von Männern in mittelalterlichen Rüstungen. Einer von ihnen trug auf der Schulter einen dicken, schwarzen, mit Griffen versehenen Zylinder, mit dem Türen eingeschlagen werden. Die Beamten stellten sich vor dem Eingang eines Wohnblocks auf und warteten. Mehrere Autos trafen ein, wurden schnell abgestellt, und heraus sprangen Männer in Zivil mit Fotoapparaten und Kameras. Sie gesellten sich zu den Polizeibeamten und warteten mit ihnen. Im orangefarbenen Licht der Straßenlaternen zuckte mehrfach grelles Blitzlicht auf. Über einer Kamera wurde eine Lampe eingeschaltet, doch nach einem kurzen Befehl erlosch sie wieder. Die Männer warteten.
Als mich endlich der erste Bus aufnahm, war er schon voller einfacher Leute, die dösend zur Arbeit fuhren. Ich fand einen Platz, lehnte den Kopf an die Scheibe und schlief ebenfalls ein, zwanzig Minuten später setzte mich der Bus vor der Metrostation ab. Ich fuhr nach Hause.
Den restlichen Verlauf der Ereignisse entnahm ich der Presse. Genau zur gesetzlich vorgeschriebenen Stunde, wie konstatiert werden konnte, war in einem unruhigen Viertel ein starkes Polizeiaufgebot zum Einsatz gekommen. Mehrere polizeibekannte Individuen, junge Leute, die meistens noch bei ihren Eltern wohnten, waren morgens in aller Frühe überrascht worden. Beamte des mobilen Einsatzkommandos waren urplötzlich in den Wohnzimmern der Familien und anschließend in den Schlafzimmern aufgetaucht, nachdem sie die Wohnungstür eingeschlagen hatten. Niemand hatte Zeit gehabt zu fliehen. Die Sache war schnell erledigt worden, auch wenn es zu einigen häuslichen Zusammenstößen, wohlgezielten Beschimpfungen, Ohrfeigen, die beruhigen sollten, etwas zerbrochenem Geschirr und schrillem weiblichem Geschrei gekommen war, und zwar im Wesentlichen von Müttern oder Großmüttern, aber einige blutjunge Mädchen hatten sich ebenfalls eingemischt. Verwünschungen waren den Beamten aus Treppenhäusern und Fenstern entgegengeschlagen. Die mit Handschellen gefesselten Verdächtigen waren schnell abgeführt worden, kaum jemand leistete Widerstand, und wenn, wurde Gewalt angewandt. Steine wurden aus dem Nichts geschleudert. Das harte Plexiglas knirschte, als die Polizeibeamten alle gemeinsam ihren Schild über den Kopf hoben. Die Wurfgeschosse prallten an ihnen ab. In der Ferne bildeten sich Menschenaufläufe, in Schlafklamotten oder schon in Trainingsanzügen. Tränengasgranaten detonierten in Wohnungen, die geräumt werden mussten. Die Polizeikräfte zogen sich wohlgeordnet zurück. Sie nahmen junge Leute mit, die Babuschen, Pantoffeln oder nicht zugeschnürte Turnschuhe trugen. Sie ließen sie in die Fahrzeuge steigen, wobei sie ihnen den Kopf hinunterdrückten. Eine Waschmaschine kippte aus einem Fenster und zerschellte mit dem dumpfem Aufprall des Gegengewichts, das sich in die Erde bohrte; das laute Scheppern des Blechs ließ alle zusammenzucken, aber niemand wurde verletzt; aus dem abgerissenen Wasserschlauch rann noch Seifenlauge über den Boden. Die Beamten zogen sich hinter ihren Schilden in einer Linie langsam zurück, die im Halbdunkel verborgene Menschenmenge näherte sich nicht, einige von ihnen schlugen nur gegen die Flanke der im Schritttempo vorüberfahrenden gepanzerten Fahrzeuge. Die festgenommenen Verdächtigen wurden der Justiz anvertraut. Die vorher in Kenntnis gesetzte Presse – wie und von wem wusste man nicht – druckte Fotos ab und beschrieb die Ereignisse. Die Berichterstattung konzentrierte sich auf die Präsenz der Presse. Nichts anderes wurde kommentiert als die Präsenz der Presse. Man regte sich auf über die vor laufenden Kameras inszenierte Polizeiaktion. Man war dagegen oder fand sich damit ab, aber was die eigentliche Aktion anging, hatte niemand etwas daran auszusetzen. Am folgenden Tag wurden alle Verdächtigen wieder freigelassen; man hatte nichts gefunden.
Niemand wies auf die militärisch organisierte Durchführung der Aktion hin.
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