Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
dieses Viereck hockender Männer war deren leere Nabe. Salagnon war so erregt, dass er den Blick nicht von ihnen abwenden konnte. Er sah Offiziere mit einem Rohrstock in der Hand mehrmals wieder kommen, sie ließen mehrere Annamiten aufstehen und führten sie in einer Reihe zum Gebäude. Die anderen rührten sich nicht, die Soldaten führten ihren Rundgang fort, das Treiben ringsumher ging in einer beruhigenden Kakophonie von Motoren, Schreien und rhythmischem Getrappel von Schritten weiter. Die Kasernentür schloss sich hinter den kleinen Männern in schwarzer Tracht. Sie bewegten sich mit äußerst sparsamen Bewegungen. Fasziniert von diesem Viereck regungsloser Männer verlangsamte Salagnon den Schritt; sein Onkel ging zu ihm zurück.
»Lass sie. Das sind Vietminh, Verdächtige, Leute, die festgenommen worden sind. Das sind Gefangene.«
»Und wohin bringt man sie?«
»Kümmere dich nicht darum. Lass sie. Diese Basis ist ein schlechtes Beispiel. Die Karikatur der Demonstration von Stärke. Wir haben unsere Stellungen in den Wäldern, und wir kämpfen. Und wir führen keinen schmutzigen Krieg, denn wir riskieren unser Leben. Die Gefahr ist der Garant für unsere Ehre. Komm, lass all das hier hinter dir; du bist einer von uns.«
Er ließ ihn in den verbeulten Jeep steigen, den er ziemlich unsanft fuhr.
»Was hat dort in dem verdunkelten Büro stattgefunden?«
»Darauf würde ich dir lieber nicht antworten.«
»Antworte mir trotzdem.«
»Die sammeln Informationen für den Nachrichtendienst. Und so etwas gedeiht nur im Dunkeln, wie Champignons oder Chicorée.«
»Informationen worüber?«
»Information für den Nachrichtendienst ist all das, was ein Typ sagt, wenn man ihn unter Druck setzt. In Indochina ist das nichts wert. Ich weiß nicht einmal, ob sie in ihrer tonalen Sprache ein Wort für ›Wahrheit‹ haben. Sie sagen immer, was sie sagen müssen, unter allen Umständen, das ist für sie eine Frage des Anstands; und der Anstand ist hier das, worum sich alles im Leben dreht. Informationen sind das Schmieröl des Krieges, die schmutzige Sache, die dich besudelt, wenn du sie anfasst; aber im Wald brauchen wir kein Schmieröl, der Schweiß reicht uns völlig.«
»Trambassac macht den Eindruck, als habe er saubere Hände.«
»Trambassac hat nur einen sauberen Kampfanzug. Der ist sauber und abgetragen zugleich. Fragst du dich nicht, wie er das zustande bringt? Er wäscht ihn in der Maschine, zusammen mit Bimsstein. Ansonsten nimmt er nur das Flugzeug, wenn er reisen muss und beschmutzt nur seine Schuhsohlen. Er schickt uns die Einsatzbefehle aus seinem Büro. In diesem Land hängt unser Leben von sehr seltsamen Leuten ab. Die französische Armeeführung ist für uns genauso gefährlich wie Onkel Ho und sein General Giap. Verlass dich nur auf dich. Du hältst dein Leben in deinen eigenen Händen. Bemüh dich, darauf achtzugeben.«
Salagnon schiffte sich im Hafen von Haiphong ein, einer von Rauch geschwärzten Stadt ohne Schönheit und Reiz; dort wurde wie in Europa gearbeitet: Kohlenbergbau, Import und Export im Hafen, Verschiffen von Holz und Kautschuk, Löschen von Waffenkisten, Ersatzteilen für Flugzeuge und Fahrzeuge. Alles wurde mit dem Panzerzug von Tonkin weiter transportiert, der in regelmäßigen Abständen unterwegs in die Luft flog. Die Bahngleise zu sabotieren, ist die leichteste Aktion des revolutionären Kriegs. Man kann sich die Szene sehr leicht aus dem Blickwinkel von jemandem vorstellen, der bäuchlings auf dem Ballast liegt: Drähte abspulen, den Plastiksprengstoff anbringen und die Ankunft des Konvois abwarten. Aber Salagnon stellte sie sich diesmal von oben vor, auf dem Zug, von dem Waggon, wo Senegalesen mit nacktem Oberkörper hinter Sandsäcken schwere Maschinengewehre bedienten. Mit etwas gezwungenem Lächeln richteten sie das mit einem gelöcherten Laufmantel umhüllte dicke Rohr auf alles, was entlang der Bahnlinie einen Mann verbergen konnte; sie handhabten lange Patronengurte, deren Gewicht ihre Muskeln hervortreten ließ. Das beruhigte Salagnon: Die fingerdicken Kugeln konnten einen Oberkörper, einen Kopf oder ein Glied zum Explodieren bringen, und es konnten mehrere Tausend von ihnen in der Minute verschossen werden. Nichts explodierte, der Zug fuhr im Schritttempo und gelangte sicher in Haiphong an. Salagnon ging an Bord einer chinesischen Dschunke, die die Verbindung mit den Inseln gewährleistete. Familien reisten an Deck und hatten lebende Hühner, Säcke mit Reis und
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