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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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den Anschein eines Adligen, eines Edelmannes mit den Neigungen eines Zisterziensermönchs, Kreuzritter von Jerusalem, auf seiner Burg belagert von einem übermächtigen Heer von Sarazenen; er arbeitete in einem kahlen Büro vor einer großen Karte von Tonkin, die auf eine auf drei Beinen ruhende Holzplatte geklebt war. Bunte Stecknadeln markierten die Posten, ein ganzer Wald von Nadeln bedeckte das Hochland und das Delta. Wenn ein Posten angegriffen worden war, zeichnete er einen auf ihn gerichteten roten Pfeil auf die Karte, und wenn ein Posten aufgegeben worden war, zog er die Stecknadel heraus. Die herausgezogenen Stecknadeln benutzte er nicht wieder, sondern bewahrte sie in einer geschlossenen Dose auf, einem länglichen hölzernen Federkasten. Wenn er eine Nadel in diesen Federkasten legte, wusste er, dass das bedeutete, einen jungen französischen Leutnant und ein paar einfache Soldaten ins Grab zu legen. Und auch mehrere eingeborene Hilfswillige, aber die konnten entkommen, verschwinden und ihr früheres Leben wieder aufnehmen, während der Leutnant und seine Soldaten nie wiederkehrten und ihre Leichen irgendwo in den Wäldern von Tonkin in den rauchenden Trümmern ihres Postens verrotteten. Die letzte Aufmerksamkeit, die man ihnen widmen konnte, bestand darin, die Stecknadel in dem Federkasten aus Holz aufzubewahren, der bald mit weiteren, identischen Nadeln gefüllt werden sollte; und sie von Zeit zu Zeit zu zählen.
    Trambassac trug nie die Uniform, die seinem Rang entsprach, er tauchte stets in einem sehr sauberen, leopardartig gefleckten Kampfanzug auf, der mit einem ausgefransten Stoffgürtel eng geschnürt und dessen Ärmel aufgekrempelt waren, sodass man seine sonnenverbrannten Unterarme sehen konnte. Sein Dienstgrad war nur den Spangen auf seiner Brust zu entnehmen, wie beim Einsatz, und kein Schweißflecken verdunkelte seine Achseln, denn dieser hagere Mann schwitzte nicht. Er empfing Salagnon vor dem gleißenden Fenster, sodass dieser ihn nur wie einen Schatten wahrnahm, einen sprechenden Schatten: vor ihm im Licht sitzend konnte man nichts verbergen. Salagnon hatte eine lockere Haltung angenommen, nachdem der Offizier es ihm befohlen hatte, und wartete. Sein Onkel, der ein Stück hinter ihm in einem Rohrsessel saß, rührte sich nicht.
    »Ich glaube, Sie kennen sich.«
    Die beiden stimmten knapp zu, Salagnon wartete.
    »Man hat mir von Ihren Abenteuern als Freibeuter erzählt, Salagnon. Das war dumm und vor allem ineffizient. Duroc war ein alter Bürohengst, er zeichnete in einem abgedunkelten Zimmer Pfeile auf eine Karte; und wenn er seine Pfeile schön bunt bemalt hatte, sah er, wie sie sich bewegten, so sehr stieg ihm das Opium zu Kopf; und zwischen zwei Pfeifen der Whisky. Aber bei diesem idiotischen Unternehmen haben Sie sich zu helfen gewusst und sind am Leben geblieben, zwei Eigenschaften, die wir hier sehr schätzen. Sie befinden sich jetzt in Tonkin, und hier herrscht tatsächlich Krieg. Wir brauchen Männer, die sich zu helfen wissen und die am Leben bleiben. Der Hauptmann, der Sie kennt, hat Sie mir empfohlen. Ich schenke meinen Hauptleuten immer Gehör, denn sie sind es, die diesen Krieg führen.«
    Seine gelben Augen leuchteten im Schatten. Er wandte sich dem im Rohrsessel sitzenden Onkel zu, der sich im Halbdunkel nicht rührte und nichts sagte. Er fuhr fort.
    »Wir sind hier nicht in Kursk und nicht in Tobruk, wo Tausende von Panzern auf Minenfeldern operierten und die Soldaten erst ab einer Million zählten und wo sie durch Zufall und massenhaft unter Bombenteppichen starben. Das hier ist ein Krieg der Hauptleute, in dem man unter dem Messer stirbt wie im Hundertjährigen Krieg, dem Krieg von Männern wie Poton de Xaintrailles und Gilles de Rais. In Tonkin ist die Kampfeinheit der Trupp, egal wie groß er ist, meistens ist er eher klein; und in seinem Mittelpunkt, die Seele des Trupps, die kollektive Seele der Männer, ist der Hauptmann, der sie anführt und dem sie blind folgen. Das ist die Rückkehr zur mittelalterlichen Kriegsführung, Oberleutnant Salagnon. Der Hauptmann und seine Getreuen, ein paar Recken, die an seinen Abenteuern teilnehmen, ihre Schildknappen und das Fußvolk. Kriegsgeräte zählen hier nur sehr wenig, die fallen meistens schnell wegen eines Defekts aus. So ist es doch, nicht wahr, Herr Hauptmann?«
    »Wenn man so will, Herr Oberst.«
    Er holte immer mit einem Hauch von Ironie die Meinung des Onkels ein und suchte dessen Zustimmung, die aber nie kam; nach

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