Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
auflöste. Der Legionär wies auf eine Villa hoch oben auf einer Felseninsel. Sie war aus Beton, hatte eine Form, die von horizontalen Linien gekennzeichnet war und besaß große Fenster, sie war nicht sehr alt, wies aber bereits Zeichen des Verfalls auf; sie war auf Kalkfelsen errichtet und überragte das Meer aus großer Höhe.
»Ihr Haus«, schrie der Bursche.
Man gelangte über einen Strand dorthin, an dem Fischer ihre in der Sonne ausgebreiteten Netze flickten; sie halfen, das Boot auf den Sand zu ziehen und entluden die Kisten, die Salagnon und sein Bursche mitbrachten. Der Pfad, der durch die Felsen zur Villa hinaufführte, war an manchen Stellen so steil, dass Stufen in die Felswand gehauen worden waren.
»Wie ein Kloster«, flüsterte der Legionär Goranidzé hinter ihm mit rotem Kopf. »Wo ich als Kind war, gab es Klöster auf den Bergen, die wie Regale an die Felswände geschraubt waren.«
»Und wo waren Sie als Kind?«
»Das Land gibt es nicht mehr. Georgien. Die Klöster waren nach der Revolution leer, die Mönche getötet oder vertrieben. Wir haben darin gespielt, die Wände in allen Räumen waren bemalt; die Bilder erzählten das Leben von Christus.«
Auch hier bedeckten große Fresken die Wände im Wohnzimmer, in dem keine Möbel mehr standen, und in den Schlafzimmern, die aufs Meer hinausgingen.
»Ich habe es Ihnen ja gesagt, Herr Oberleutnant. Wie in einem Kloster.«
»Aber ich glaube nicht, dass diese Bilder hier das Leben Christi erzählen.«
»Ich weiß nicht. Ich bin schon zu lange bei der Fremdenlegion, um mich an Einzelheiten zu erinnern.«
Sie gingen durch alle Räume, es roch nach Verwahrlosung und Feuchtigkeit. In den Schlafzimmern blähten sich große schmutzige und teilweise zerrissene Tüllgardinen vor den Fenstern ohne Scheiben und ließen ruckweise das blaue Meer sehen. Die Fresken stellten übernatürlich große Frauen aller Rassen des Kolonialreiches dar, die nackt in sehr grünem Gras im Schatten von Palmen oder blühenden Büschen auf großen Laken in warmen Farben lagen. Man sah das Gesicht von jeder von ihnen in einer Vorderansicht mit gesenktem Blick, und sie lächelten.
»Maria-Magdalena, Herr Oberleutnant. Ich habe es Ihnen ja gesagt: das Leben Christi. Jeweils eine pro Region des Kolonialreichs: das muss so sein.«
Sie richteten sich in der Villa ein, in der der Kolonialverwalter in der Trockenzeit bis zum Ausbruch des Krieges gewohnt hatte.
Salagnon suchte sich ein Zimmer aus, in dem eine ganze Front offen aufs Meer hinausging. Er schlief in einem Bett, das viel größer war als er, es war so breit wie lang, sodass er sich in der Richtung hinlegen konnte, die ihm gerade zusagte. Die von der Brise aufgeblähte Tüllgardine bewegte sich kaum; wenn er sich bei gelöschtem Licht in diesem Zimmer ins Bett legte, hörte er das leise Geräusch der Brandung unten vor der Felswand. Er führte das Leben eines Fürsten in einem imaginären Reich, träumte viel, ließ seine Fantasie spielen, fühlte sich wie im siebten Himmel.
Die Frauenbilder an den Wänden seines Schlafzimmers wurden allmählich von der Feuchtigkeit angegriffen. Aber man konnte noch bei jeder das Lächeln ihrer sinnlichen, von tropischen Säften genährten Lippen erkennen; die Frauen des Kolonialreichs waren an ihrem prächtigen Mund zu erkennen. An der Decke war das Abbild eines einzelnen nackten Mannes, der in beiden Armen eine Frau hielt; sein Begehren war deutlich sichtbar, aber er war der Einzige, dessen Gesicht nicht zu erkennen war, da er den Kopf abgewandt hatte. Salagnon lag mit offenen Augen auf dem Rücken in dem großen Bett und konnte das Bild des einzigen Mannes an der Decke sehr gut sehen. Er wünschte sich, Euridice wäre da. Sie hätten wie ein Prinz und seine Prinzessin in diesem Luftschloss gelebt. Er schrieb ihr Briefe, malte, was er durch die offene Wand sah, die chinesische Landschaft der kleinen Inseln, die sich aus dem blendenden Wasser erhoben. Die Briefe an sie wurden von dem Motorboot transportiert, das einmal in der Woche zu dem Hafen fuhr, den die Dschunke anlief. Goranidzé kümmerte sich um alles, um die Lebensmittelversorgung und die Post, er bereitete das Essen zu, wusch und bügelte Wäsche und Kleidung, immer mit einer untadeligen Steifheit, die er nie ablegte, und er bereitete den Empfang einheimischer Würdenträger vor, deren Erscheinen er dann mit vibrierender Stimme ankündigte. Aber er teilte Salagnon auch jede Woche respektvoll mit, dass er seinen freien Abend zu
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