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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Frankreichs Präsenz ist für sie nur ein Schnupfen der Geschichte. Wir sind nur vorübergehend da, sie dagegen schnäuzen sich und bleiben; sie nutzen die Gelegenheit, um andere Sprachen zu erlernen, andere Bücher zu lesen und sich auf andere Weisen zu bereichern. Geh zu ihm hin und lern malen, aber glaube nicht zu sehr an die Freundschaft. Und auch nicht an den Dialog. Er verachtet dich, aber du amüsierst ihn; er lässt dich eine Rolle in einem Stück spielen, das dir völlig unbekannt ist. Nutz die Gelegenheit, lern etwas, aber nimm dich in Acht. So wie er sich stets in Acht nimmt.«
    Als Salagnon ankam, öffnete ihm ein betagter Diener die Tür, der viel älter war als sein Herr, sehr hager und stark gebeugt, und ging vor ihm durch die leeren Räume. Der alte Herr erwartete ihn im Stehen mit einem leichten Lächeln und, wie so häufig, mit erweiterten Pupillen, aber mit festem Druck der rechten Hand, um ihn auf französische Art zu begrüßen. Salagnon stellte fest, dass er sich nur seiner rechten Hand bediente, um zu grüßen, zu malen, die Rollen zu verknüpfen oder das kleine Schälchen mit Tee an die Lippen zu setzen. Er bediente sich nie seiner Linken, ließ sie stets in der Tasche seines eleganten hellen Anzugs, und wenn er saß, versteckte er sie unter dem Tisch, klemmte sie zwischen die Knie. Sie zitterte.
    »Ach, da sind Sie ja!«, sagte er wie immer. »Ich habe an Sie gedacht.« Und dann wies er auf eine weitere geschlossene Rolle, die auf dem langen Tisch lag, den er im größten Raum des Hauses hatte aufstellen lassen. Auch ein zweiter Korbsessel war hinzugefügt worden und ein niedriger Tisch zwischen den beiden Sesseln, auf dem das Malwerkzeug lag. In dem Augenblick, in dem sie sich hinsetzten, um zu malen, brachte ihnen ein anderer Diener, ein sehr junger magerer Mann, der sich bewegte wie eine Katze, eine glühend heiße Teekanne. Er hatte einen wilden Gesichtsausdruck, hob jedoch nie die Augen, sondern sah nur mit wütend hin und her zuckendem gesenktem Blick nach links und rechts. Sein Herr betrachtete ihn mit nachsichtigem Lächeln und sagte nie ein Wort, wenn er den Tee ungeschickt einschenkte und dabei immer etwas heißes Wasser neben die Schälchen goss. Der alte Herr bedankte sich mit sanfter Stimme, und der junge Mann wandte sich jäh um und warf kurz böse Blicke nach allen Seiten.
    Nach einem Seufzer des Lehrmeisters begann der Unterricht über die Kunst des Pinselstrichs. Sie öffneten das alte Gemälde, entrollten es und würdigten gemeinsam das Auftauchen der Landschaft. Mit der rechten Hand wickelte der alte Herr in regelmäßigem Rhythmus die Seidenrolle ab und mit der leicht zitternden linken Hand wies er beiläufig auf gewisse Striche, seine ungeschickte Hand tanzte über der sich vergrößernden Malerei hin und her, unterstrich den ungewissen Rhythmus des Atems, folgte zitternd dem Lufthauch der Tusche, der frisch und lebendig aus der Rolle hervorkam, in dem er gewöhnlich eingeschlossen war. Manchmal reichte der Tisch nicht für die gesamte Länge eines Gemäldes aus, dann sahen sie es sich in mehreren Etappen an und rollten den unteren Teil wieder ein, während auf dem oberen Teil allmählich die Gipfel auftauchten. Sie liefen gemeinsam einen Tuscheweg entlang, der Meister wies ihn mit einsilbigen Worten oder einer flüchtigen Geste auf Einzelheiten hin, und Salagnon nahm das mit einem leisen Brummen oder mit einem leichten Kopfnicken zur Kenntnis; allmählich hatte er den Eindruck, diese stumme Musik aus Pinselstrichen zu begreifen. Er lernte.
    Salagnon gewann seine Tusche, indem er lange einen festen Tuschestab in der Höhlung eines Steins mit einem Tropfen Wasser verrieb, und diese winzige Bewegung, die er sehr oft wiederholen musste, bereitete ihn aufs Malen vor. Er malte auf sehr saugfähigem Papier, auf dem man jeweils nur einen einzigen Strich machen konnte, in einem Durchgang, ein für alle Mal, einen einzigen endgültigen Strich. »Jeder Strich muss richtig sein, junger Mann. Wenn er es nicht ist, macht das auch nichts. Dann sorgen Sie dafür, dass die folgenden Striche ihn berichtigen.«
    Salagnon hielt in seinen Fingern ein Instrument des Unwiderruflichen. Anfangs ließ ihn das erstarren; und dann befreite es ihn. Es war nicht mehr nötig, auf die einmal gemalten Striche zurückzukommen, sie waren gemalt, waren endgültig. Aber die darauffolgenden konnten deren Richtigkeit verbessern. Die Zeit ging weiter; und anstatt sich davon beunruhigen zu lassen, brauchte man

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