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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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sich nur fest in sie einzubinden. Er sagte dem alten Herrn, was er nach und nach von dessen Lehre begriff, und dieser hörte ihm immer mit dem gleichen geduldigen Lächeln zu. »Versuchen Sie zu verstehen, junger Mann, versuchen Sie es. Es ist immer gut, etwas zu verstehen. Aber vor allem müssen Sie malen. Der einzige Pinselstrich ist der einzige Weg im Leben. Den müssen Sie selbst einschlagen, um ihr eigenes Leben zu leben.«
    All das ging eines Tages zu Ende und zwar zur gewohnten Uhrzeit, zu der Salagnon vor der Haustür erschien und diese angelehnt vorfand. Er zog an der Glockenschnur, um einen Diener zu rufen, doch niemand kam. Er trat ein. Er ging ganz allein durch die leeren großen Räume bis zu dem festlichen Raum, der dem Malen gewidmet war. Der rote Lackschrank, die Korbsessel, der Tisch standen im staubigen Licht des Nachmittags da wie verlassene Tempel im Wald. Der alte Diener lag auf der Türschwelle. Er hatte ein Loch im Schädel, mitten zwischen den Augen, doch es rann kein Blut aus der Wunde. Sein alter hagerer Körper hatte vermutlich kaum noch Blut gehabt. Sein Herr lag halb auf dem Maltisch, mit der Stirn auf einer alten Rolle, die endgültig verdorben war. Sein Nacken war nur noch ein blutiger Brei, seine Malinstrumente waren umgefallen, die Tusche hatte sich mit dem Blut vermischt und bildete auf dem Tisch eine leuchte Pfütze aus sehr dunklem Rot. Sie schien hart geworden zu sein; Salagnon wagte sie nicht zu berühren.
    Der junge Diener war nicht aufzufinden.
    »Er ist es gewesen«, behauptete Salagnon seinem Onkel gegenüber.
    »Oder auch nicht.«
    »Sonst wäre er nicht geflohen.«
    »Hier flieht man, egal ob man etwas damit zu tun hat oder nicht. Vor allem wenn man jung ist und wenn diejenigen, die einen unterstützt haben, nicht mehr da sind. Wenn die Polizei ihn verhört hätte, wäre er schuldig erklärt worden. Die verstehen ihr Handwerk sehr gut. Bei ihnen gesteht man; und zwar alles. Unsere koloniale Polizei ist die beste der Welt. Die findet systematisch die Schuldigen. Jeder, der verhaftet wird, ist schuldig und gesteht letztendlich. Daher fliehen alle Zeugen; und werden dadurch zu Schuldigen. Das ist unabwendbar. In Indochina hat man die Qual der Wahl, um einen Schuldigen zu finden; man braucht sie nur auf der Straße aufzusammeln, die sind voll von ihnen. Auch du könntest einer sein.«
    »Bin ich womöglich an seinem Tod schuld?«
    »Das kann sein. Aber überschätz dich nicht. Für den Tod eines annamitischen Adligen kann es zahlreiche Gründe geben. Alle möglichen Leute können ein Interesse daran haben. Andere Aristokraten, um ein Exempel zu statuieren und die Vietnamesen davon abzubringen, eine zu deutlich zur Schau gestellte westliche Lebensweise nachzuahmen; die Vietminh, um den kolonialen Graben zu vertiefen und den Eindruck zu erwecken, er sei unüberwindbar; die chinesischen Kaufleute, die Schwarzhandel mit Opium treiben und Spielhöllen besitzen, und all das mit Bao Dais Segen, dem unseren und dem der Vietminh, denn alle verdienen etwas daran; unser Geheimdienst, um Verwirrung zu schaffen und den Anschein zu erwecken, die anderen seien dafür verantwortlich, damit diese sich anschließend untereinander umbringen. Und es kann sein junger Boy sein, der die Tat aus persönlichen Gründen begangen hat. Aber er könnte seinerseits von all denen manipuliert worden sein, die ich dir aufgezählt habe. Und diese könnten wiederum von den anderen manipuliert sein, und so geht das endlos weiter. Du hast ja schon bemerkt, dass man in Indochina sehr schnell sterben kann, aus Gründen, die oft unklar bleiben. Doch selbst wenn die Gründe undeutlich sind, tritt der Tod hier immer sehr schnell ein; das ist sogar das Einzige, was in diesem Land schnell geht. Dafür müsste man sich fast bedanken.«
    »Bei wem, bei Indochina?«
    »Nein, beim Tod.«
    Salagnon zeichnete im Freien. Die Anzahl der Kinder, die ihn umringten, war riesig, sie plärrten, kreischten, sprangen weiter unten in den Fluss, rannten barfuß über die lehmige Straße. Lastwagen fuhren in einer langen Reihe, umgeben von Staub, und spien schwarze Dieselwolken aus, zwei Motorräder fuhren ihnen mit dem tiefen Tremolo eines Opernbasses voraus, die Fahrer saßen mit Lederhelm und großer Brille kerzengerade auf ihrer Maschine. Die Kinder rannten hinter ihnen her; wo immer man sie antraf, bildeten sie eine rennende Schar, deren nackte kleine Füße auf die Erde schlugen, sie machten sich über die Soldaten lustig, die auf

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