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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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ihm aufs Bett, sodass er nicht einmal die Zeit hatte, sich aufzurichten. Sie passte sich ihm ein, sie schmiegte sich an ihn, presste ihr Gesicht an seinen Hals, an sein Ohr, flüsterte seinen Namen und andere Worte, die er nicht verstand. Dann richtete sie sich auf und blickte ihn ganz fest an.
    »Auf diesen Moment habe ich schon lange gewartet, Victorien. Je schwieriger die Situation hier wurde, desto stärker träumte ich davon, dass man euch herschickte. Dass man den kleinen, inzwischen abgehärteten Victorien herschickt, damit er uns rettet, und besonders mich, damit er uns von alledem befreit, von dieser furchtbaren Gewalt, von diesen Dummheiten, von diesem Verrat, von dieser endlosen Langeweile.«
    »Davon hast du mir nichts gesagt.«
    »Das wusste ich noch nicht so genau. Ich entdecke das erst jetzt, während ich es dir sage, aber ich habe es die ganze Zeit gespürt. Als ich in der Zeitung las, dass man euch herschickt, hüpfte mir das Herz vor Freude. Mein unausgesprochener Wunsch ist wahr geworden. All das, dieser ganze Krieg, all diese Gewalt und all diese entsetzlichen Momente haben dazu geführt, dass wir jetzt beide hier sind. Wir kommen aus so weiter Ferne, sind an Orten geboren, die so weit voneinander entfernt sind, dass zwei Kriege nötig waren, damit wir uns wiederfinden können. Ich habe insgeheim gehofft, die Situation möge sich verschlechtern, damit du schnell kommst. Die anderen wissen nicht, wofür sie kämpfen, das weiß nur ich: Sie kämpfen für uns, sie kämpfen, damit wir uns wiederfinden können.«
    Sie küsste ihn. Er dachte nicht mehr an die trübselige Atmosphäre des Hotelzimmers. Sie war unwichtig geworden. Sie blieben den ganzen Tag und die ganze Nacht, trennten sich aber am folgenden Morgen. Um sechs Uhr in der Früh setzte sich Hauptmann Salagnon in das Fahrzeug an der Spitze einer Kolonne von Lastwagen, die mit Soldaten besetzt waren; sie wurden zu Einsätzen ins Landesinnere verlegt.
    Er schrieb ihr einen kurzen Brief, in dem er mit einem Pinselstrich die Rundung ihrer Hüfte skizzierte, so wie sie ihm im Gedächtnis geblieben war; er gab die Adresse des Quartiers an, in dem sie untergebracht waren, damit sie ihm antworten konnte. Euridice lieh sich von ihrem Vater dessen Citroën 2 CV aus und besuchte ihn. Sie trug einen weißen Haik, den sie mit den Zähnen zusammenhielt. Wo immer sie entlangfuhr, löste sie eine Welle der Verblüffung und der Belustigung hinter sich aus. Es war sehr ungewöhnlich, dass eine Frau in einem weißen Haik mit Vollgas über die Landstraßen raste. Sie blieb nicht unbemerkt: Jemand, der sich verkleidet und sich versteckt, dachten die Leute, wenn sie vorüberfuhr. Sie wussten nicht, wer es war; aber sie wussten, dass sie sich versteckte, denn sie war bestimmt nicht das, was sie vorgab zu sein. Wie ein Gespenst tauchte sie in großer Erregung im Quartier des Fallschirmjägerregiments auf. Sie erklärte dem verdutzten Wachposten, sie wolle Hauptmann Salagnon sprechen. Noch während sie mit ihm sprach, streifte sie ihren Haik ab, erzwang sich einen Durchgang und fiel dem überraschten Victorien in die Arme, der ihr sagte, sie sei verrückt und unvorsichtig, denn auf der Straße könne ihr sehr leicht etwas zustoßen.
    »Ich habe mich versteckt, niemand kann mich sehen«, sagte sie lachend.
    »Es ist Krieg, Euridice, das ist kein Spiel.«
    »Ich bin da.«
    »Und dein Mann?«
    »Den gibt es nicht.«
    Diese Antwort gefiel ihm.
    Ein kurzer Regenschauer hatte die Luft bis in die Tiefen reingewaschen. Alles war schnell wieder trocken, nachdem der Regen die fernen Berge, den Himmel und den Horizont vom ockerfarbenen Staub befreit hatte, der in der Luft schwebte und die Sicht verschleierte. Die Landschaft erstreckte sich wie auf dem Boden ausgebreitete strahlende Wäsche in alle Richtungen unter einem reinen, blauen Himmel. Sie fuhren in Salomons Citroën auf einer steinigen Straße zu dem nicht sehr hohen Om-Saada-Pass. Salagnon wusste, dass es dort Bäume, Schatten und dürftige Grasflächen gab, auf denen sie sich ausbreiten konnten. Er hatte Euridice das Zeichenheft gezeigt, das er dabeihatte, und hatte, ohne es ihr zu sagen, eine Pistole in einem Etui unter den Vordersitz gelegt. Sie waren langsam gefahren, hatten viel erzählt, viel gelacht und die Klappfenster offen gelassen, um die frische Luft hereinströmen zu lassen, die nach heißen Steinen, versengten aromatischen Kräutern und Kiefernharz roch. Die unregelmäßige Fahrbahn stellte hohe Ansprüche

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