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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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bedienen, ermutigte sie mit lauter Stimme und schlug dabei mit der flachen Hand auf den Tisch, um sich Gehör zu verschaffen. »Diesem arabischen Ungeziefer muss man es zeigen. Und zwar mit Gewalt, das ist die einzige Sprache, die sie verstehen. Sobald deine Aufmerksamkeit etwas nachlässt, ohrfeigen sie dich; und wenn du ihnen die andere Wange hinhältst, schneiden sie dir die Kehle durch. Wenn du ihnen den Rücken kehrst, stoßen sie dir ein Messer rein, ehe du dich versiehst. Aber wenn du ihnen fest in die Augen schaust, dann rühren sie sich nicht. Dann bleiben sie starr wie ein Baumstamm. Sie sind imstande, sich einen ganzen Tag lang nicht zu rühren. Ich frag mich, was sie im Blut haben. Vermutlich irgendetwas Kaltes, Schmieriges. Wie die Eidechsen.«
    Er stellte den Anisette und ein paar Tapas auf den Tisch: »Auf Ihr Wohl, meine Herren, das geht auf meine Rechnung.« Dann ging er wieder hinter die Theke, trocknete Gläser ab und hörte dabei halblaut im Radio endlose, schmalzige Schlager.
    Salagnon und sein Onkel saßen eine Weile stumm vor der Bucht, die sich zu ihren Füßen erstreckte. Das Wasser war im Winter von einförmiger blassblauer Farbe, und die so ruhigen weißen Wohnhäuser drängten sich am Ufer zusammen.
    »Das sagen sie immer«, erklärte schließlich der Onkel. »Dass sie sie kennen, weil sie gemeinsam die Schulbank gedrückt haben. Und deshalb ist das so grauenhaft. Genau deshalb.«
    »Aber warum nur?«
    Die Algerienfranzosen begreifen die Gewalt nicht, der sie zum Opfer fallen. Sie hätten sich doch so gut verstanden, wie sie meinen. Aber seltsamerweise begreifen alle Araber diese Gewalt sehr gut. Entweder gehören sie also zwei unterschiedlichen Arten an, oder sie leben in zwei getrennten Welten. Dieselbe Schulbank gedrückt zu haben und anschließend in getrennten Welten zu leben, ist eine explosive Situation. Man lehrt die Menschen nicht ungestraft Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, wenn man sie ihnen anschließend verweigert.«
    Sie tranken ein wenig, betrachteten den vollkommen klaren Horizont, die Wintersonne wärmte ihnen das Gesicht und die Unterarme, die aus ihrer stets aufgekrempelten Kampfanzugjacke hervorsahen.
    »Was machst du?«, fragte Salagnon schließlich.
    »Dasselbe wie du, nehme ich an. Nur anderswo.«
    Mehr sagte er nicht. Der Onkel sah abgespannt aus. Seine Gesichtsfarbe war ein bisschen kränklich, zu blass, und seine herunterhängenden Mundwinkel bohrten sich in seine Wangen und verkrampften nach und nach seine Lippen.
    »Falls wir nichts erreichen und eines Tages abziehen müssen, dann wird all das als ein Verbrechen angesehen werden«, flüsterte er kaum hörbar. »Dann wird man uns hassen.«
    Es trat wieder Stille ein; sie lastete auf Salagnon. Er blickte sich suchend nach ein paar Einzelheiten um, die von diesem Thema ablenken und dem Gespräch eine andere Wendung geben könnten. Die Kiefern bewegten sich sanft, das spiegelglatte Mittelmeer zog sich bis zum Horizont hin, die weißen Wohnhäuser weiter unten, die wie Gipsblöcke wirkten, drängten sich zusammen, um schmalen Gassen Schatten zu spenden.
    »Lernst du immer noch die Odyssee auswendig?«, fragte er.
    Das Gesicht des Onkels entspannte sich, er lächelte sogar.
    »Ich komme voran. Weißt du, ich habe etwas Seltsames gelesen. Odysseus ist in die Unterwelt gegangen, um den Seher Teiresias zu fragen, wie alles enden werde. Er bringt den Toten ein Opfer dar, und Teiresias kommt herbei, um zu trinken.
    Aber weiche zurück und wende das Schwert von der Grube,
    Dass ich trinke des Blutes und dir dein Schicksal verkünde.
    Anschließend erklärt er ihm, wie die Sache zu Ende gehen wird: zehn Jahre Krieg, zehn Jahre gewalttätiger Abenteuer, um heimzukehren, zehn Jahre, in deren Verlauf seine Gefährten einer nach dem anderen ruhmlos sterben, und schließlich ein Blutbad. Ein zwanzig Jahre währendes Gemetzel, das allein Odysseus überlebt. Teiresias, der die Stimme der Toten ist und begierig das Blut der Opfergabe getrunken hat, um die Wahrheit zu sagen, verrät ihm auch, wie er sich verhalten soll, um nach dem Krieg weiterleben zu können.
    Siehe, dann nimm in die Hand ein geglättetes Ruder und gehe
    Fort in die Welt, bis du kommst zu Menschen, welche das Meer nicht kennen […]
    Wenn ein Wanderer einst, der dir in der Fremde begegnet,
    Sagt, du trägst eine Schaufel auf deiner rüstigen Schulter,
    Siehe, dann steck in die Erde das schöngeglättete Ruder,
    Bringe stattliche Opfer dem Meerbeherrscher

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