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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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an die zu weiche Federung des Citroën, der wie eine leichte, auf Sprungfedern befestigte Gondel hin und her schaukelte. Sie stießen lachend gegeneinander, suchten am Schenkel oder am Arm des anderen Halt, versuchten sich manchmal zu küssen, gingen dabei aber das Risiko ein, mit dem Kopf gegeneinander zu schlagen, und über diese Dummheit mussten sie lachen. Euridice saß am Steuer, er ließ sich sehr gern fahren, betrachtete alles, die Landschaft, die klare Luft, und er betrachtete sie, die mit rührender Aufmerksamkeit fuhr, und vergaß darüber die Waffe, die er unter seinen Sitz gelegt hatte. Am Om-Saada-Pass bogen sie in einen schmalen Sandweg ein, der an den Rand des Wäldchens aus krummen Kiefern führte. Eine Weide mit niedrigem Gras war ihr Ziel. Im Frühling sind die Pflanzen überzeugt, sie könnten die Steinwüste besiegen, und schöne, hellgrüne Kissen, Blüten an kurzen Stängeln und kleine Rasenflächen machen sich daran, die Welt zu erobern. Man würde sehen, was im Sommer davon übrig bleiben würde, aber an jenem Tag verbot sich die frühlingshafte Lebenskraft jeden Zweifel. Die beiden ließen den Wagen stehen und setzten sich in den Schatten der Kiefern, deren unterste, schenkeldicke Äste sich über den Boden schlängelten. Euridice hatte den Haik mitgebracht, den sie wie ein weißes Laken auf dem Boden ausbreitete, sie legten sich darauf. Ein wenig tiefer wellte sich unter dem einfarbigen blauen Himmel ringsumher ein Teppich aus grünen und goldfarbenen Hügeln bis zum Horizont, als wäre es der Boden ihres Schlafzimmers; man sah weder Straßen noch Dörfer, denn diese bestehen aus aufeinandergeschichteten kleinen Steinen, die von Menschen errichteten Behausungen waren zu klein und zu unauffällig, um von hier gesehen werden zu können. Die laue Luft bewegte sich, ihre Lungen vibrierten wie soeben gesetzte Segel, sie sogen die Landschaft in sich auf. Zu ihren Füßen schien ein friedliches Land zu liegen.
    Sie verbrachten diesen Tag damit, fröhlich zu plaudern, sich zu küssen, bis ihnen die Zunge wehtat, sich mit nacktem Hintern in der Sonne zu lieben, und in dieser weiten Landschaft, in der sie allein waren, den Korb mit Lebensmitteln zu leeren, den sie mitgebracht hatten, ein wenig zu zeichnen, eng umschlungen einzuschlafen, mit einer jähen Bewegung die einzige störende Fliege zu vertreiben, die sie umschwirrte. Sie konnten es noch immer nicht fassen, dass sie zwölf Jahre lang getrennt gewesen waren. Zwölf Jahre ist eine lange Zeit, eine Durststrecke, die Erinnerungen an all das, was davor geschehen war, hätten im Nebel der Ferne längst verblasst sein müssen, und die beiden hätten sich verändert haben müssen. Doch es war nicht der Fall. Die zwölf Jahre waren nur wie eine Buchseite gewesen: es dauert lange, sie zu lesen, wenn man den einzelne Zeilen folgt; aber die vorangegangene Seite befindet sich direkt hinter dem dünnen Blatt Papier; anderswo, aber direkt hinter ihm.
    Der Abend war eindrucksvoll, der große Sonnenball tauchte alles in kupferfarbene Töne. Ihre Haut verschmolz miteinander, während sie eng aneinander geschmiegt lagen. Victoriens Glied kannte keine Müdigkeit, nur einen leichten Muskelkater. Es hätte ewig aufrecht stehen können, um rein und raus zu gehen, in Euridice zu tauchen wie in ein köstliches Wasser, und darüber musste er lachen, wie man im Schwimmbad lacht, wenn die Haut warm ist, man von frischem Wasser bespritzt wird und glücklich ist über eine grenzenlose Freiheit.
    »Wir müssen aufhören und zurückfahren«, flüsterte er ihr ins Ohr.
    »Verhängt der Herr Offizier die Ausgangssperre?«
    »Der Herr Offizier weiß, was er in diesem Land tut. Komm.«
    Doch der Wagen sprang nicht an. Er stand ein wenig schräg und völlig verstaubt am Rand des sandigen Weges und gab nur ein keuchendes Räuspern von sich, als Salagnon den Zündschlüssel drehte. Er untersuchte den Motor, tastete die Zündkabel ab, doch das bewirkte nichts. Die Sonne war untergegangen, der Himmel färbte sich blau.
    »Wir sitzen hier fest.«
    »Lass uns zu Fuß nach Hause gehen. Das ist gar nicht so weit.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Für uns ist es viel zu gefährlich, nachts zu Fuß nach Hause zu gehen.«
    »Für uns?«
    »Für zwei Europäer, und darunter einen Offizier ohne Begleitschutz. Die Region ist nicht befriedet, Euridice.«
    »Wusstest du das, ehe wir herkamen?«
    Er antwortete nicht. Er holte unter dem Sitz die Pistole hervor und befestigte das Etui an seinem

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