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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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sagte er zerstreut. »Die Geschäfte scheinen ja gut zu laufen.«
    »Es geht so, wenn man sich nur genug Mühe gibt.«
    »Ist Rosenthal noch immer geschlossen? Der Rollladen ist schon lange zu. Haben die Pleite gemacht?«
    »Sie sind eines Morgens weggegangen, als wollten sie in Ferien fahren. Sie hatten beide einen Koffer in der Hand. Ich weiß nicht mit welchem Ziel. Mit den Rosenthals habe ich nie viele Worte gewechselt, selten mehr als guten Morgen, guten Abend. Wir sahen uns beim Öffnen und abends beim Schließen des Ladens. Eines Tages hat er mir von Polen erzählt, mit seinem Akzent, der das Gespräch nicht erleichtert. Sie sind vermutlich nach Polen gefahren.«
    »Glaubst du, dass der Tourismus nach Polen im Moment floriert?«
    »Ich hab keine Ahnung. Ich hab meine Arbeit. Und noch mehr, seit sie dichtgemacht haben. Eines Morgens sind sie klammheimlich abgehauen, ich weiß nicht wohin. Ich habe nicht vor, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um die Rosenthals wiederzufinden, die ich nur von Ansehen kenne.«
    »Und du, Victorien, kennst du den kleinen Rosenthal?«
    »Er ist jünger als ich. Geht nicht in meine Klasse.«
    Der Onkel seufzte.
    »Du wirst doch wohl nicht einem Typen nachweinen, von dem du nur den Namen und den geschlossenen Rollladen kennst. Trink einen Schluck, sage ich dir.«
    »Niemand kümmert sich mehr um niemanden, Salagnon. Frankreich geht unter, weil sich jeder nur noch für seine eigenen Probleme interessiert. Wir verrecken, weil es bei uns keine Gemeinschaft mehr gibt. Weißt du, was uns fehlt? Der Stolz, eine Gemeinschaft zu sein.«
    »Frankreich! Frankreich ist doch wunderschön! Aber davon kann ich mich nicht ernähren. Außerdem war Rosenthal kein Franzose.«
    »Sie sprechen französisch wie du, ihre Kinder sind hier geboren, sie sind in dieselbe Schule gegangen wie dein Sohn. Also …«
    »Er ist kein Franzose, sage ich dir. Seine Papiere beweisen es, ganz klar.«
    »Was die Papiere angeht, da kann ich nur lachen, Salagnon. Deine Papiere hat dir dein Sohn ausgestellt. Echter als echte.«
    Victorien und sein Vater erröteten gemeinsam.
    »Komm, lass uns nicht darüber streiten. Trinken wir lieber einen. Hör zu, ich habe mit den Rosenthals nichts am Hut. Ich arbeite. Und wenn alle so arbeiten würden wie ich, dann gäbe es die Probleme nicht mehr, von denen du sprichst; dann hätten wir nicht mal Zeit, daran zu denken.«
    »Du hast recht. Arbeite. Und ich fahre morgen los. Lass uns noch einen trinken. Es ist vielleicht das letzte Mal.«
    Victorien begleitete seinen beschwipsten Onkel durch die Dunkelheit, um die Begegnung mit einer Streife zu verhindern, wozu er allein nicht mehr fähig und erst recht nicht willens gewesen wäre, denn wenn er etwas getrunken hatte, ließ er sich leicht provozieren. Er hatte kräftig gebechert, ohne den Wein zu würdigen, und nach mehr verlangt, und irgendwann wollte er dorthin zurückkehren, wo er gemeinsam mit jenen untergebracht war, mit denen er am nächsten Tag zu den Chantiers de Jeunesse aufbrechen würde. »Begleite ihn, Victorien«, bat seine Mutter. Und Victorien stützte seinen Onkel am Ellbogen, um zu vermeiden, dass er an den Bürgersteigkanten stolperte.
    Sie trennten sich an der Saône, die wie ein schwarzer Graben wirkte, über den ein eisiger Wind fegte. Der inzwischen ernüchterte Onkel nahm eine straffere Haltung an, den Rest des Weges konnte er allein zurücklegen. Er drückte seinem Neffen ernst die Hand, und als er schon ein paar Schritte auf der Brücke über den Fluss zurückgelegt hatte, rief Victorien ihn, rannte hinter ihm her und erzählte ihm vom geplanten Vorhaben der Großen Lehranstalt. Der Onkel hörte seinem Bericht bis zum Ende zu, trotz seines Sporthemds und seiner Shorts, die den Wind durchließen. Als Victorien fertig war, erschauerte der Mann; sie schwiegen einen Moment.
    »Ich schicke dir einen Marschbefehl für mein Lager«, sagte er schließlich.
    »Ist das möglich?«
    »Einen gefälschten, Victorien, einen gefälschten. Das bist du doch gewohnt, oder? In diesem Land werden mehr falsche Papiere hergestellt als echte. Das ist inzwischen fast zu einem Industriezweig geworden; und wenn die falschen den echten Papieren derart gleichen, dann nur, weil sie von denselben Leuten ausgestellt werden, die je nach Tages- bzw. Nachtzeit echte oder falsche herstellen. Mach dir also keine Sorgen, das Papier, das du bekommst, wird als authentisch durchgehen. Aber jetzt muss ich gehen. Ich will nicht an einer

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