Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
auslöste, ist wie der Zündschlüssel, mit dem man einen Lastwagen anlässt. Der Lastwagen braucht bloß da zu sein, er springt an, sobald man den Schlüssel im Zündschloss umdreht. Niemand nimmt Anstoß am Missverhältnis zwischen dem Schlüssel und dem Lastwagen, weil die innere Gestaltung des Lastwagens ihm erlaubt, anzuspringen und nicht allein der Schlüssel, zumindest nur in verschwindend geringem Maß.
Man stellt sich vor – und diese Vorstellung ist beruhigend –, dass ein schöner Bahnhof mitten in einer Stadt die Ordnung darstellt, und dass Aufruhr der Unordnung zugerechnet werden muss; aber das ist ein Irrtum. Man betrachtet Bahnhöfe nicht genau genug, man bleibt dort nicht lange. Aber wenn man sich die Zeit nimmt, sich dort hinsetzt und regungslos sitzen bleibt, um die anderen in ihrer Hektik zu beobachten, dann stellt sich heraus, dass kaum ein Ort so unübersichtlich ist wie dieses multimodale Zentrum, in dem sich Eisenbahnzüge, U-Bahnzüge, Busse, Taxis und Fußgänger kreuzen, wobei jeder nur seiner eigenen Logik folgt und sich bemüht, seines Weges zu gehen, ohne den anderen ins Gehege zu kommen, jeder bewegt sich in gebrochener Linie voran wie Ameisen auf der Oberfläche der großen Ameisenhügel aus Kiefernnadeln. Ein Zusammenstoß, ein Stolpern über eine Unebenheit, eine Unreinheit in dieser flüssigen Umgebung genügt, um die Ordnung, die der Frieden nicht ahnen ließ, sofort wieder sichtbar werden zu lassen. Der den Bahnhof füllende Strom von eiligen Menschen wird zu einem Block, strukturiert sich in Reihen, nimmt Form an. Die Leute tun sich zusammen, bilden Gruppen, die Blicke, die bis dahin kein festes Ziel hatten, gehen nur noch in gewisse Richtungen, leere Flächen tauchen dort auf, wo vorher alles ausgefüllt war, wie mit dem Lineal gezogene blaue Reihen bilden sich dort, wo vorher eine lasche, bunte Vielfalt herrschte, Gegenstände fliegen in bevorzugte Richtungen.
Die Ordnungskräfte erhalten die Ordnung nicht aufrecht, sie erzwingen sie; sie schaffen sie, denn nirgendwo ist die Ordnung so wichtig wie im Krieg. Während des Konflikts weiß jeder, wo sein Platz ist, ohne dass es eine Erklärung erfordert: das Organisationsprinzip genügt. Jeder weiß, was er zu tun hat und tut es; im Krieg kennt jeder seine Rolle, jeder ist an seinem Platz. Diejenigen, die nicht wissen, was sie zu tun haben, verlassen weinend den Ort. Diejenigen, die ihren Platz nicht kennen, tun so, als verständen sie nichts, sie glauben, die Welt sei unsinnig und beklagen sich, sie blicken zurück auf den brennenden Bahnhof. Sie begreifen diese Absurdität nicht, sie glauben, es handele sich um einen Zusammenbruch der Ordnung. Sie sterben oder nicht, wie das Schicksal es will.
Sobald der Fahrschein weggeworfen worden war, geriet der Bahnhof in Aufruhr. Es gab heftige Auseinandersetzungen, und manche Menschen flohen. Die Leute organisierten sich. Das Organisationsprinzip war die Rasse.
Der junge Mann, der seinen Fahrschein weggeworfen hatte und kontrolliert wurde, war schwarz. Der Bahnhof geriet in Aufruhr.
Es gibt keine Rassen. Und dennoch sind sie derart präsent, dass ein Bahnhof in Aufruhr gerät und Hunderte von Menschen, die bis dahin nichts miteinander zu tun hatten, sich nach Farben ordnen. Schwarze, Braune, Weiße, Blaue. Nach dem Schock, der im Bahnhof stattfand, waren die nach Farben geordneten Gruppen homogen.
Nach den Unruhen gingen Polizisten durch die Wagen der terrorisierten Züge. Die Hände auf den Waffengürtel gelegt gingen sie langsam durch den Mittelgang und durchbohrten die sitzenden Fahrgäste mit ihren Blicken. Sie stellten die Bewaffnung von Stoßtruppen zur Schau, waren gelenkig, kräftig und trugen militärisch anmutende Uniformen. Es war nicht mehr die alte Polizeiuniform mit gerade geschnittener Hose, Halbschuhen, Pelerine und Käppi, sondern eine sich an den Knöcheln verengende Hose, die das Springen erleichterte, hohe Schnürschuhe, die schnelles Rennen ermöglichten, ein weites Blouson und eine fest auf dem Schädel sitzende Schirmmütze. An ihrem Gürtel hingen Schlagwaffen und Kontrollinstrumente. Ihre Uniform hatte sich geändert, sie lehnte sich an die der Fallschirmjäger an.
Sie gingen mit ruhigen Schritten durch die buntscheckigen Züge und nahmen Ausweiskontrollen vor. Aber sie kontrollierten nicht aufs Geratewohl, das wäre ein Zeichen von Inkompetenz. Sie wendeten einen Farbencode an, den jeder kennt. Das wusste man. Das gehörte zu der menschlichen Fähigkeit,
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