Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
weiß, dass eine organische Metapher der Gesellschaft eine faschistische Metapher ist; aber die Probleme, die wir haben, lassen sich nun mal auf faschistische Weise beschreiben. Wir haben Probleme, die die Ordnung, das Blut und den Boden betreffen, Probleme mit gewalttätigen Handlungen, Probleme mit der Macht und dem Gebrauch von Gewalt. All diese Worte kommen einem sofort in den Sinn, welchen Sinn auch immer sie haben mögen.
Ich irrte durch die Nacht wie ein verrückter Schatten, ein redendes Gespenst, eine wandernde Logorrhoe. Endlich gelangte ich in mein Viertel, in meiner Straße hatte sich eine Gruppe von Jugendlichen unter einer Straßenlaterne versammelt. Sie umringten einen Motorroller, den einer von ihnen auf dem Bürgersteig geparkt hatte, der Fahrer mit nacktem Oberkörper hatte seinen Helm aufbehalten und nur den Kinnriemen gelöst, der ihm auf die Schultern herabhing.
Ich hörte in meiner ansonsten menschenleeren Straße, in der kein Licht mehr hinter den Fenstern brannte, schon von fern den Lärm ihrer Stimmen, ohne ihre Worte erkennen zu können; aber ihre abgehackte Phrasierung verriet mir, was ich wissen wollte: woher sie kamen. Ich entnahm ihrem Sprachrhythmus bereits aus der Ferne, welcher unserer seit langem streng getrennten Gesellschaftsschichten sie entstammten. Bis auf den behelmten jungen Mann, der auf seinem Roller saß, standen alle. Sie lehnten an der Wand, gingen auf dem Bürgersteig hin und her und fuchtelten mit den Armen wie Basketballspieler; sie erforschten die Straße auf der Suche nach einem Abenteuer, und sei es auch noch so klein. Sie ließen eine große Flasche Limonade herumgehen, aus der sie nacheinander mit weit in den Nacken gelegtem Kopf und nachdrücklichen Gesten tranken.
Ich ging mitten durch die Gruppe hindurch, sie wichen zur Seite. Sie warfen mir spöttische Blicke zu und umtanzten mich, aber ich ging weiter, hatte keine Angst, von mir ging nicht der geringste Angstgeruch aus, ich hatte Halsschmerzen und war zu sehr damit beschäftigt, nicht zu ersticken. Ich ging mitten durch sie hindurch und murmelte vor mich hin, wie ich schon seit Einbruch der Nacht gemurmelt hatte, brummte jene sich verflüchtigenden Worte, die niemand verstehen konnte; das brachte sie zum Lachen. »He, Monsieur, Ihre Pauschale explodiert, wenn Sie die ganze Nacht so weiterquasseln.«
Ich hatte Schmerzen, litt an der nationalen Angina, an der französischen Grippe, die die Kehle verdreht, an einer Krankheit, die den Rachen entzündet und das kostbare Sprachorgan angreift und diesen Schwall von Worten hervorsprudeln lässt, von Worten, die das wahre Blut der französischen Nation sind. Die Sprache ist unser Blut, sie sprudelte aus mir heraus.
Ich ging weiter, ohne etwas zu erwidern, ich war zu beschäftigt und hatte die Anspielung auf den technischen Gegenstand nicht verstanden. Ihr Sprachrhythmus war nicht ganz der meine. Diese Jugendlichen kochten, ohne sich zu rühren, wie die Wasseroberfläche in Töpfen auf dem Feuer, die von aus dem Inneren aufsteigenden Blasen brodelt. Ich ließ sie hinter mir und ging auf meine Haustür zu. Was draußen geschah, war mir scheißegal. Ich hatte Schmerzen, und umklammerte die kleine Tüte mit Medikamenten, die bei jedem Schritt stärker zerknitterte. In der Tüte, in den kleinen Schachteln befanden sich die Mittel, die mich heilen würden.
Ein mit blauen und roten Streifen dekoriertes Fahrzeug glitt die Straße entlang. Es hielt auf der Höhe der Gruppe an. Vier junge Männer in Overalls stiegen gleichzeitig aus. Sie reckten sich und zogen wie ein Mann ihre waffenklirrenden Gürtel hoch. Sie waren jung, stark und zu viert, ihre Glieder waren fest wie Sprungfedern, und keiner von ihnen war alt genug, um die anderen an die Leine zu legen. Keiner von ihnen war älter, langsamer, keiner von ihnen hatte den kleinen Abstand zur Welt gewonnen, wie ihn jene haben, die sich schon ein bisschen Wind um die Nase haben wehen lassen, keiner von ihnen war fähig, nicht sofort zu reagieren, keiner von ihnen war imstande, den Einsatz dieser Feuerkraft zu verzögern. Sie waren vier gleichaltrige junge Männer, Krieger, deren eiserne Kinnladen schon von klein auf geschärft worden waren, und niemand war da, um sie im Zaum zu halten. Die älteren Männer wollten nicht mehr in Juninächten Streife fahren, und daher ließ man entsicherte Handgranaten auf die Stadt los, junge, angespannte Männer, die auf gut Glück in der Nacht nach anderen angespannten jungen Leuten
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