Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)
Ähnlichkeiten wahrzunehmen. In den Bahnhöfen, in denen die Züge hielten, hörte man das näselnde Knistern der Lautsprecher, hörte man den Klang aus alter Zeit, der seit langem die Überwachung der Ballungsgebiete begleitete. »Treue Bewohner Frankreichs, die Polizei wacht über Ihre Sicherheit. Die Polizei verfolgt die Gesetzlosen. Lassen Sie sich bereitwillig kontrollieren, seien Sie wachsam, befolgen Sie die Anweisungen. Treue Bewohner Frankreichs, die Polizei wacht über Sie. Erleichtern Sie ihre Arbeit. Es geht um Ihre Sicherheit.«
Sicherheit. Davon wussten wir ein Lied zu singen.
Nachdem ich meinen Körper den Psychosomatropika überlassen hatte, schlief ich ein.
Von außen betrachtet unterscheidet sich dieser Schlaf durch nichts vom Tod; mein Körper rührt sich nicht, er ist in ein Tuch gehüllt, das als Laken oder als Leichentuch dienen kann, das mich durch die Nacht oder über den Totenfluss begleiten kann. Der vom Körper befreite Geist wird zu einem Gas, das leichter ist als Luft. Es handelt sich um Helium, es handelt sich um einen Luftballon; man darf ihn nicht loslassen. Im neurochemischen Schlaf ist der Geist ein Heliumballon, der an einem seidenen Faden hängt.
Der Lärm der Gedanken geht ununterbrochen weiter, der Wortschwall fließt ständig weiter. Dieser Fluss ist der Mensch. Der Mensch ist eine geschwätzige Gliederpuppe, ein kleiner, an Fäden bewegter Hampelmann. Vollgestopft mit Medikamenten, um nicht mehr zu leiden, gelöst von meinem empfindlichen Körper ließ ich den Heliumballon aufsteigen. Die Sprache fließt von allein, sie rationalisiert, was sie denkt, und denkt an nichts anderes als an ihren eigenen Fluss. Und der mit Besorgnis gefüllte Luftballon hängt nur an einem seidenen Faden.
Mit wem kann ich reden? Von wem stamme ich ab? Wem schlage ich nach?
Ich brauche den Begriff der Rasse.
Die Rasse besitzt die Einfachheit von großen Wahnideen, von jenen, die man leicht mit anderen teilen kann, denn sie sind das Geräusch unserer Räderwerke, wenn diese von nichts und niemandem mehr gelenkt werden. Sich selbst überlassen bringt das Denken die Rasse hervor; denn das Denken ordnet unwillkürlich zu. Die Rasse kann mir etwas über mein Wesen verraten. Die Ähnlichkeit ist mein einfachster Gedanke, ich lese sie bettelnd den Gesichtern ab, erforsche tastend das eigene. Die Rasse ist eine Methode, die Wesen einzuordnen.
Mit wem spreche ich? Wer spricht mit mir? Wer wird mich lieben? Wer wird sich die Zeit nehmen, mir zuzuhören?
Die Rasse antwortet mir.
Die Rasse spricht auf verrückte und ungezügelte Weise über das Wesen, aber sie spricht darüber. Nichts anderes spricht so einfach über mein Wesen zu mir.
Wer nimmt mich auf, ohne etwas dafür zu verlangen?
Die Rasse antwortet auf die allzu bedrohlichen Fragen, die mein Herz beschweren. Die Rasse versteht es, ernste Fragen durch absurde Antworten aufzulockern. Ich will unter den meinen leben. Aber gibt es eine andere Möglichkeit sie wiederzuerkennen, als an ihrem Äußeren? Als an ihrem Gesicht, das dem meinem gleicht? Die Ähnlichkeit zeigt mir, woher jene kommen, die mich umgeben, was sie von mir denken und was sie wollen. Man ermisst die Ähnlichkeit nicht, man ist sich ihrer bewusst.
Wenn sich das Denken in einem leeren Raum bewegt, klassifiziert es. Die Rasse ist eine auf Ähnlichkeit beruhende Zuordnung. Jeder versteht die Ähnlichkeit. Wir verstehen sie; sie versteht uns. Wir ähneln gewissen Menschen, anderen weniger. Wir lesen die Ähnlichkeit allen Gesichtern ab, das Auge sucht danach und das Gehirn findet sie, noch ehe wir überhaupt wussten, dass wir danach suchten, noch ehe wir daran dachten, sie zu finden. Die Ähnlichkeit erleichtert das Leben.
Die Rasse hat alle Widerlegungen überlebt, denn sie ist das Ergebnis einer Denkgewohnheit, die unserer Vernunft vorausgeht. Die Rasse gibt es nicht, aber die Realität straft sie nie Lügen. Unser Geist legt sie unentwegt nahe; diese Idee kehrt immer wieder. Ideen sind der festeste Teil des menschlichen Wesens, viel fester als Fleisch, denn Fleisch vermodert und verschwindet. Ideen werden unverändert weitergegeben, verborgen in den Strukturen unserer Sprache.
Das Gehirn tut seine Arbeit. Es sucht nach Unterschieden und findet sie. Es schafft Formen. Das Gehirn schafft Kategorien, die für sein Überleben nützlich sind. Es ordnet automatisch zu, versucht Handlungen vorherzusagen, versucht vorherzusehen, was jene tun, die es umgeben. Die Rasse ist ein
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