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Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition)

Titel: Die französische Kunst des Krieges: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexis Jenni
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Ausschau hielten, welche ihnen im Spiel zu entkommen versuchten.
    Die jungen Männer in nüchterner blauer Kleidung näherten sich den jungen Männern, die lose, bunte Gewänder trugen und von denen einer sogar mit nacktem Oberkörper dasaß. Sie deuteten einen Gruß an und verlangten die Ausweise und die Papiere des Motorrollers. Sie studierten die kunststoffummantelten Karten und warfen einen Blick in die Runde, die Gesten verlangsamten sich. Mit dem Zeigfinger deuteten sie auf eine Kippe auf dem Boden, ohne sich zu bücken; sie ließen sie aufsammeln, um sie zu untersuchen. Die Gesten wurden noch langsamer, vorsichtiger. Jeder musste seine Taschen leeren und wurde von einem Mann in Blau abgetastet, während ein anderer jede Bewegung überwachte und dabei die Hand auf den Waffengürtel gelegt hielt. Das dauerte eine ganze Weile. Sie suchten; und wenn man lange genug sucht, findet man immer etwas. Die immer langsameren Bewegungen grenzten fast an Regungslosigkeit. Das konnte nicht mehr lange so weitergehen. Regungslosigkeit kann nicht lange anhalten. Der Körper ist wie eine Sprungfeder, er hasst Regungslosigkeit. Es gab einen Ruck, Geschrei, und der Roller kippte um. Die jungen Leute flohen in die Dunkelheit, es blieb nur der mit nacktem Oberkörper zurück, er lag auf dem Boden, von zwei blau gekleideten Athleten überwältigt, sein Helm war ein Stück weitergerollt. Er wurde mit Handschellen in das Fahrzeug geführt. In der nächtlichen Stille meiner Straße hörte ich deutlich, was sie über Funk durchgaben. Hinter ein paar Fenstern der Häuser in meiner Straße ging das Licht an, und Gesichter tauchten zwischen Vorhängen auf. Ich hörte die Begründung für die Festnahme: »Weigerung, sich einer Kontrolle zu unterziehen. Widerstand gegen die Staatsgewalt. Fluchtversuch.« Das hatte ich genau gehört. Ich war noch auf der Straße, aber niemand wollte etwas von mir. Ganz mit meiner Physiologie beschäftigt, fürchte ich mich vor nichts, ganz mit mir selbst beschäftigt hatte ich nichts anderes zu tun, als meine Schmerzen zu lindern. Das Licht hinter den Fenstern verlöschte eines nach dem anderen, der Wagen fuhr mit einem zusätzlichen Insassen fort, der Motorroller blieb auf dem Bürgersteig liegen und der Helm in der Gosse.
    Man nimmt jemanden fest, weil er sich weigert, festgenommen zu werden: Diese Begründung ist ein schönes Beispiel für einen Zirkelschluss. Von einwandfreier juristischer Logik, aber eben ein Zirkelschluss. Die Begründung wirkt durchaus rational, sobald man sie vorbringt, aber wie kommt es dazu?
    An jenem Abend hätte sich in meiner Straße bestimmt nichts ereignet. Aber die Situation war so angespannt, dass ein winziger Schock eine Verkrampfung hervorrief, eine brutale Verteidigung der gesamten Gesellschaft wie bei einer richtigen Krankheit; nur mit dem Unterschied, dass es hier keine Feinde gab, bis auf einen gewissen Teil der eigenen Gemeinschaft.
    Die Gesellschaft zitterte vor Fieber. Die kranke Gesellschaft fand keinen Schlaf: Sie fürchtete, den Verstand und ihre Unversehrtheit zu verlieren; das Fieber ließ sie unruhig werden; sie fand keine Ruhe in dem zu warmen Bett. Ein unerwartetes Geräusch kam ihr wie eine Aggression vor. Kranke ertragen es nicht, dass man zu laut mit ihnen redet, das tut ihnen ebenso weh wie Schläge. In der unnormalen Hitze ihres Zimmers verwechseln Kranke die Vorstellung von etwas und die Sache selbst, die Furcht vor etwas und deren Auswirkung, den Klang der Worte und die Schläge. Ich schloss die Tür hinter mir, knipste aber das Licht nicht an, das Licht, das von draußen hereinfiel, genügte mir. Ich füllte mir ein Glas mit Leitungswasser, schluckte die Medikamente, die man mir verschrieben hatte und legte mich schlafen.
    Der Geist hängt an einem seidenen Faden. Der mit Gedanken erfüllte Geist ist wie ein Heliumballon, den ein Kind in der Hand hält. Das Kind ist glücklich, diesen Ballon in der Hand zu halten, hat Angst, ihn loszulassen, und hält daher den Faden gut fest. Die in der Apotheke verkauften Psychosomatropika befreien von der Unruhe, öffnen die Hände. Der Luftballon fliegt davon. Die in der Apotheke gekauften Psychosomatropika begünstigen einen von der physischen Welt gelösten Schlaf, in dem durch die Luft schwebende Ideen als wahr erscheinen.
    Wie gelingt es den Ordnungshütern bloß, sie nachts wiederzuerkennen?
    Die gelebte Grammatik hat nichts mit der theoretischen Grammatik gemein. Wenn ich ein Pronomen benutze, handelt es sich

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