Die Frau an Seiner Seite
Das konnte auf Dauer nicht gelingen. Alle immer wieder von Hausärzten empfohlenen Therapien – beispielsweise die Desensibilisierung am Tegernsee – waren wirkungslos und mussten es sein. In vielen Gesprächen empfohlene psychotherapeutische Maßnahmen wollte Hannelore Kohl nicht wahrnehmen, einerseits aus Furcht vor den möglichen Reaktionen der Medien in ihrer Rolle als Kanzlergattin, andererseits weil sie die Psychogenese der Störung nicht wahrhaben wollte. Und schließlich, weil sie offenbar von den behandelnden Hausärzten anders beraten wurde. Sie hatten in Wahrheit eine Diagnose ausgestellt, die bis heute als allgemeine Sprachregelung dient und bis heute von Helmut Kohl und den beiden Söhnen geglaubt wird, an der aber Zweifel möglich sind.
Die ZNS-Experten mussten ohnmächtig mit ansehen, wie sich Hannelore Kohl zunehmend zurückzog und in Isolation geriet. Die von manchen Ärzten bescheinigte »Nichtheilbarkeit« der Störung und andere zunehmende emotionale Belastungen, wie die Spendenaffäre und das subjektive Gefühl des Verlassenseins, führten schließlich aus Verzweiflung zum Suizidentschluss. Ohne geeignete Psychotherapie mit zunächst eigener Akzeptanz der vorherrschenden Psychogenese, war ihr ein Durchbrechen des unheilvollen Circulus vitiosus nicht möglich. So wie sie nichts in ihrem Leben dem Zufall überlassen hatte, so hatte sie den Suizidentschluss in der ihr eigenen Art wohlüberlegt gefasst und ausgeführt. Nirgendwo – die Familie ausgenommen – war der Schock über Hannelores Selbstmord so groß wie bei den Mitstreitern der Hannelore-Kohl-Stiftung. Noch heute sind einige von ihnen zu Tränen gerührt, wenn sie auf den Tod ihrer Präsidentin am 5. Juli 2001 angesprochen werden.
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Die Bilanz der Hannelore-Kohl-Stiftung kann sich sehen lassen. Heute unterhält sie einen Beratungs- und Informationsdienst für Schädelhirnverletzte und deren Angehörige, unterstützt bei der Suche nach geeigneten Rehabilitationseinrichtungen und fördert die wissenschaftliche Forschung auf dem Gebiet der Neurologischen Rehabilitation. Die Stiftung engagiert sich in der Präventionsarbeit für Unfallverhütung. Bisher konnten rund 28 Millionen Euro aus Spendenmitteln für 600 Projekte an Kliniken, Institutionen und Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland weitergegeben werden. Jedes Jahr erleiden etwa 270 000 Menschen Schädelhirntraumen, knapp die Hälfte von ihnen ist jünger als 25 Jahre. Dank der Fortschritte in diesem Bereich kann vielen von ihnen geholfen werden. Das Stiftungskapital betrug bis Ende 2001 12,9 Millionen Euro – Ende 2010 waren es 16,3 Millionen Euro. Eine stolze Bilanz, die mit dem Namen der einstigen Gründerin untrennbar verbunden bleibt.
Hannelore Kohl war immer auch Teil eines anderen, stand immer im Schatten eines erfolgreichen Mannes, dessen Karriere sie ihr eigenes Leben unterordnete. Vom Glanz ihres Ehegatten konnte sie zwar profitieren, was auch eine vordergründige Entschädigung bedeutete. Dennoch war sie immer die Frau von Helmut Kohl, anerkannt, aber doch immer nur die Frau an seiner Seite. Diese Rolle verinnerlichte sie bis zur Selbstaufgabe. Diese disziplinierte, korrekte, engagierte und fleißige Frau tat alles zum Wohle ihres Mannes und des Landes. Sie begleitete seine ungewöhnliche Karriere mit all ihren Kräften und unternahm nichts, was ihm nicht zu Ehre und Ruhm gereicht hätte. Daraus eine Opferrolle oder eine Märtyrerrolle zu machen, war ihr völlig fremd, wenngleich sie längst nicht mit allem einverstanden und oftmals todunglücklich war.
Erst als Präsidentin des Kuratoriums ZNS und der Stiftung konnte sie ihre hohe Qualifikation unter Beweis stellen. Mit ihren Fähigkeiten, ein wohldurchdachtes Management durchzuziehen, fand sie großen Anklang. Die ZNS-Arbeit in völliger Unabhängigkeit von ihrem Mann und den Zwängen als Frau eines Politikers bescherte ihr Befriedigung und außergewöhnliche Erfolge. Diese Erfolge waren ihrem Mann zuweilen unheimlich. Er wachte darüber, dass ihre Popularität durch ihre Präsidentschaft nicht ins Unkontrollierbare stieg. Er war der Größte und duldete neben sich keine Ehefrau, die mit ihm in Konkurrenz geraten könnte, natürlich nur in Bezug auf Empathie und Popularität.
Welche Großtat Hannelores Einsatz für Verletzte des zentralen Nervensystems tatsächlich ausmachte, soll an einem Beispiel stellvertretend für Tausende vergleichbarer Schicksalsschläge dokumentiert werden:
Anne-Kathrin
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