Die Frau an Seiner Seite
Betroffenen eine Rückkehr in Familie, Schule und Beruf zu ermöglichen und langfristige Therapie- und Nachsorgemaßnahmen auf den Weg gebracht. Zur positiven Bilanz ihrer Lebensleistung zählt auch, dass die Institutionen aus Praxis und Forschung zusammenfanden, um aktiv sinnvolle Rehabilitationsmaßnahmen zu erarbeiten. Dass dabei auch Psychologen mit einbezogen wurden, hat Hannelore – und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – mit großem Engagement vorangetrieben.
Hannelore Kohl hatte lange überlegt, aus dem Kuratorium ZNS eine Stiftung zu machen. Eine Stiftung erfüllt ihren Zweck mit den Erträgen aus ihrem Vermögen, wogegen ein gemeinnütziger Verein die einkommenden Gelder unmittelbar ausgeben und dem Verwendungszweck zuführen muss. Rücklagen können nicht gebildet werden. Es war schwierig, unter diesen Umständen die Geschäfte des Kuratoriums zu führen und Gelder für die langfristigen Aufgaben zu sichern. Nach intensiven Beratungen war 1993 entschieden worden, die nichtrechtsfähige Stiftung »Hannelore-Kohl-Stiftung für Unfallopfer zur Förderung der Rehabilitation von Hirnverletzten« zu gründen und in die Finanzverwaltung beim Essener Stifterver band zu übertragen. Zwei Jahre später wurde in der Bonner Rochusstraße 25 die Etage eines Mehrfamilienhauses für 800 000 D-Mark erworben. In dieser Stiftungszentrale arbeiten derzeit zehn Angestellte. Am 10. Mai 2005 wurde durch Umwandlung dieser Stiftung die rechtsfähige »ZNS-Hannelore-Kohl-Stiftung für Verletzte mit Schäden des Zentralen Nervensystems« errichtet.
Was Hannelore besonders auszeichnete, war das gemeinsame Bemühen um die gesetzten Ziele, die vertrauensvolle und verständnisvolle Zusammenarbeit. Ihre ständige Lernbereitschaft und Lernfähigkeit werden besonders gerühmt. Sie wurde immer bewundert, wie rasch und sicher sie auch komplizierte medizinische Sachverhalte erfasste und durchdachte und diese dann bildhaft-anschaulich, laienverständlich und überzeugend darzustellen wusste. Ihr Wissen war nicht aufgesetzt, sondern im langjährigen Bemühen um schädelhirnverletzte Menschen erworben und erfahren worden. Nach der Wende 1989 kümmerte sich das Kuratorium ZNS auf ihre besondere Initiative hin um die Ausweitung des Engagements in den neuen Bundesländern, wo die Unfallzahlen in nie gekannte Höhe schossen. Die Stiftung bemühte sich vor allem um die Erweiterung neurochirurgischer Kapazitäten und den Aufbau eines flächendeckenden Informationsnetzes, das Betroffene an entsprechende neurochirurgische Einrichtungen verweisen konnte. 1983, im Gründungsjahr des Kuratoriums, hatte es in Hessisch Oldendorf die einzige Therapieeinrichtung bundesweit für Schwersthirnverletzte gegeben. Als Hannelore starb, waren es über 200.
1995 wurde der Stiftungspräsidentin die Ehrendoktorwürde der Medizinischen Fakultät der Universität Greifswald angeboten. Prompt rief diese Auszeichnung Neider auf den Plan. Nach einigem Zögern entschied sie sich schließlich für die Annahme, weil sie in der Ehrendoktorwürde Vorteile für ihre Aufgabe als Präsidentin der Stiftung sah.
Für die engsten Stiftungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter war Hannelore Kohl eine bewundernswerte und liebenswerte Frau, die ihr soziales Engagement mit jeder Faser ihres Herzens lebte. Nach außen schien sie meist sachlich distanziert und immer diszipliniert. Dabei war sie sehr empfindsam und somit leichter verletzbar, als mancher meinte. Meist ließ sie sich das nicht anmerken, reagierte aber gelegentlich äußerst heftig und deutlich und keineswegs ladylike. Sie suchte Rat bei den Menschen ihres Vertrauens, nahm Ratschläge an, leider hinsichtlich ihrer Krankheit später aber auch falsche. In persönlichen Dingen war sie sehr verschlossen und besaß zweifellos ein in ihrer Lebensentwicklung und Position geschuldetes Misstrauen.
Professor Hans Mayer, einer der ganz wenigen Männer, denen sie das freundschaftliche Du angeboten hatte, stand Hannelore Kohl viele Jahre beratend und helfend zur Seite. Er war Weggefährte, enger und vertrauter Mitarbeiter, »medizinischer Sachverstand« und schließlich Freund und ärztlicher Berater. Auch er erlebte ihre zunehmend emotionalen und psychosozialen Belastungen und Konflikte, die chronisch wurden und sich ausweiteten. Die emotionalen Belastungen und Konflikte wurden von der ZNS-Präsidentin nicht als gegeben akzeptiert, sondern verdrängt und sollten durch Selbstdisziplin, Beherrschung und Verzicht sublimiert werden.
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