Die Frau an Seiner Seite
zog.
LEBEN IN LEIPZIG
Die einzige Außenhandelsmesse des Dritten Reiches hatte mit der »Schau rein deutscher Waren« ihre Herbstmesse des Jahres 1933 gerade beendet. Die Rede des NSDAP-Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler am Leipziger Völkerschlachtdenkmal war bereits Geschichte, als die Möbelpacker mit ihrem Lastwagen vor dem Haus Montbéstraße 41 in der Nordwestvorstadt von Leipzig hielten. Sie schleppten ansehnliche Möbelstücke und Teppiche, wunderbares Porzellan und wertvolles Geschirr in die geräumige Wohnung im ersten Stock des 1927 erbauten gutbürgerlichen Sechs-Parteien-Hauses. Das stadtnahe und doch freistehende Haus befand sich im Privatbesitz und wurde an solvente Familien vermietet. Die Straße war 1903 nach dem Stadtkommandanten von Leipzig und General der Infanterie Alban von Montbé (1874 – 1885) benannt worden. Als Hannelore Kohl nach der Wende einmal ihre alte Heimat besuchte, war der Name Montbé verschwunden. Im Jahr 1950 war die Straße nach dem französischen Maler Manet umbenannt worden, von 1985 an hieß sie Kommandant-Trufanow-Straße – nach dem ersten sowjetischen Militär-Kommandanten von Leipzig, Generalleutnant Nikolai Iwanowitsch Trufanow. 1999 wurde der Straßenname in Trufanowstraße geändert.
In dieser traditionell besten Wohnlage der bevölkerungsreichsten Stadt Sachsens lebte die Familie über zehn Jahre. Hier verbrachte Hannelore die schönste Zeit ihrer Kindheit, vielleicht sogar ihres Lebens. Die neue, hochmoderne Wohnung mit Fernheizung verfügte über fünfeinhalb geräumige Zimmer mit hohen Decken und einen auffallend langen, breiten Flur. Eltern- und Kinderschlafzimmer-, Ess-, Herren- und Damenzimmer und das Zimmer für die Hausangestellte, Küche mit Balkon, Bad und separate Toilette und Wintergarten sowie ein gepflegter Garten mit gepflastertem Hof und Sandkasten machten den herrschaftlichen Wohnsitz für die dreiköpfige Familie komplett.
In ihrem akribisch geführten Tagebuch, aus dem Peter Kohl in seinem zusammen mit Dona Kujacinski geschriebenen Buch Ihr Leben ausführlich zitiert, hält Irene Renner nicht nur den Alltag im neuen Domizil fest, sondern protokolliert vor allem die Entwicklung ihrer Tochter. So machte »Püppi« am ersten Januar 1934 erstmals »bitte, bitte«. Und zwanzig Tage später stand Hannelore auf ihren wackligen Beinchen, ganz »ohne Anfassen«. Den ersten Zahn verzeichnete Mutter Irene am ersten Februar 1934. Am 4. November des gleichen Jahres besuchte »Püppi« mit ihrer Mutter den Zirkus Krone in Leipzig. Ob die Renner-Tochter in diesem frühen Alter mit Menschen, Tieren und Sensationen tatsächlich etwas anfangen konnte, darf bezweifelt werden. Im Tagebucheintrag vom ersten März 1935 ist von »Keuchhusten« zu lesen. Am 3. Mai 1935 wurde »Püppi« mit gerade mal zwei Jahren in den Kindergarten aufgenommen und am 9. Oktober bekam sie die erste private Turnstunde. Wenige Tage später ging es erneut in den Zirkus. Diesmal besuchte Hannelore den berühmten »Zirkus Busch«. Mutters Tagebucheintag: »Musik und Tiere finden großes Interesse. Clowns erregen Trauer.«
An Hannelores drittem Geburtstag wurde eine große Kinderparty veranstaltet. Von der Mutter perfekt organisiert, tummelte sich ein gutes Dutzend Kinder an der fürstlich gedeckten Tafel. Danach gab es über mehrere Stunden jede Menge Unterhaltungsprogramm – von Versteck- und Gespensterspielen bis zu lautem Topfschlagen. Dabei entstanden Erinnerungsfotos, die eine überglückliche »Püppi« zeigen. Die Palette der Geschenke dürfte bei so manchem Zögling aus der Nachbarschaft eine Portion Neid hervorgerufen haben. Im Hause Renner herrschte ein Maß an Überfluss, wie er in jener Zeit nur in der Oberschicht zu erleben war. Hannelore besaß während der ersten Jahre ihrer Kindheit immer die neuesten und attraktivsten Spielzeuge, die besten Roll- und Schlittschuhe. Der Vater überschüttete die angebetete Tochter mit einer ungeheuren Fülle ausgesuchter Spielsachen auch außerhalb der Weihnachtszeit oder den Geburtstagen: Immer als erste hatte »Püppi« ein Dreirad, einen Tretroller, später ein Fahrrad oder Skier. Ihr Vater baute ihr ein Kletterhäuschen und überraschte sie einmal mit einem riesengroßen Puppenhaus mit über sechzig Biegepuppen. Woran sich ehemalige Nachbarskinder heute noch lebhaft erinnern, ist ein »Spielhaus«, das Hannelore zu Weihnachten bekommen hatte. Im Herrenzimmer hatte Vater Wilhelm ein komplett möbliertes Haus mit Blumenkästen und
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