Die Frau aus Alexandria
ungesetzliche Dinge? Um unmoralische? »Haben die Soldaten ihre dienstfreie Zeit im Dorf oder in der Stadt verbracht?«, fragte er.
Ishaq spreizte die Finger. »Kommt darauf an, wie lange«, sagte er. »Hier gibt es nicht viel Interessantes, aber in Alexandria muss man für sein Vergnügen Geld haben.«
»Die Stadt ist wunderschön, und man kann einfach umherbummeln«, sagte Pitt. Es war ihm ernst. »Dabei kann man vieles über Geschichte und Kulturen anderer Länder erfahren: nicht nur die Ägyptens, sondern auch Griechenlands, Roms, der Türkei, Armeniens, Jerusalems ...« Als er den Ausdruck in Ishaqs Gesicht erkannte, hielt er inne. »Ich war mit Lovat nicht bekannt«, schloss er.
»Das habe ich gemerkt«, sagte Ishaq trocken. »Wenn Soldaten keinen Dienst haben, möchten sie essen und trinken, sich mit Frauen amüsieren, vielleicht ein bisschen nach alten Schätzen suchen.«
Zwar hielt Pitt es für Zeitverschwendung, dass sich Männer auf diese Dinge beschränkten, doch war alles, was da gesagt worden war, harmlos. Die Frage nach den nicht eingehaltenen Vorschriften war damit nicht einmal am Rande angesprochen. Es sah ganz so aus, als würde es ein langer Abend werden, aber immerhin saß Pitt nicht mehr mit gekreuzten Beinen auf dem harten Boden, und an die Stechmücken hatte er sich so gewöhnt, dass er es schon gar nicht mehr merkte, wenn er nach ihnen schlug.
»Was noch?«, fragte Avram gelangweilt, als wolle er lediglich die Stille überbrücken.
Ishaq zuckte die Achseln. »Sie haben in den Sümpfen Vögel gejagt«, sagte er beiläufig, »und gelegentlich nach Krokodilen Ausschau gehalten. Ich glaube, ein oder zwei Mal sind sie flussaufwärts gefahren. Ich habe das für sie organisiert.«
»Wollten sie sich die Tempel und Ruinen anschauen?«, fragte Pitt und bemühte sich, das in ebenso gleichgültigem Ton wie Avram zu sagen.
»Ich glaube schon. Einmal sind sie bis Kairo gefahren. Sie wollten sich die Pyramiden von Giseh ansehen und so weiter.« Mit breitem Grinsen fügte er hinzu: »Dabei sind sie in einen Sandsturm gekommen, haben sie jedenfalls gesagt. Meistens aber waren sie mehr in der Nähe.«
Der Sache weiter nachzugehen lohnte sich offenbar nicht, aber sonst gab es kaum etwas zu sagen, um das Gespräch in Gang zu
halten. Allmählich gab Pitt die Hoffnung auf, etwas über Lovat zu erfahren, was ihm wenigstens einen Hinweis auf seinen Charakter lieferte, wenn schon nicht auf einen Grund, warum man ihn getötet hatte. Es sah ganz so aus, als würde er aus Ägypten lediglich die Erkenntnis mitbringen, dass es sich bei Ayesha Sachari um eine hoch gebildete, leidenschaftliche Patriotin und nicht um eine Frau handelte, die sich ihrer Schönheit bedient, um sich jeden Luxus leisten zu können.
»Die vier waren also gewöhnlich zusammen?«, fragte er. Vielleicht konnte er zumindest einen oder zwei der anderen aufspüren und aus ihrer Erinnerung Einzelheiten über Lovat erfahren.
»Meistens«, sagte Ishaq. »Allein umherzustreifen ist nicht besonders sicher.« Er musterte Pitt aufmerksam, um zu sehen, ob er verstanden hatte oder man ihm erklären musste, dass ein Brite als Angehöriger der bewaffneten Besatzungsmacht in einem fremden Land nicht bei allen Menschen wohlgelitten war und unter Umständen mit heftigen Reaktionen rechnen musste.
Pitt begriff durchaus. Er hatte es gemerkt, wenn er durch die Stadt ging, in der Luft gespürt, in den heimlichen Blicken der Männer wie Frauen gesehen, die sie tauschten, wenn sie sich unbeobachtet fühlten. Schon möglich, dass sie für die mit der Anwesenheit der Fremden verbundenen finanziellen Vorteile dankbar waren, aber niemand stand gern in der Schuld anderer oder wollte von ihnen abhängig sein. Sicherlich gab es in Einzelfällen Zuneigung – er musste an Trenchards Leidenschaft für seine ägyptische Geliebte denken —, aber ebenso sicher gab es auch Hass. Im Normalfall durfte man mit einer gewissen Achtung rechnen, möglicherweise auch mit Neugier, und gelegentlich unter Umständen mit einem gewissen Verständnis. Aber immer lauerte der Volkszorn dicht unter der Oberfläche. Gewiss hatte es diese Gefühle auch damals schon gegeben; sie waren durch die Beschießung Alexandrias höchstens noch verstärkt worden und mochten sich seither deutlicher zeigen als zuvor.
Schweigend saßen die drei Männer einige Minuten da. Das gleichmäßige Geräusch, das die im Wasser umherstapfenden Ochsen
machten, wirkte beruhigend, da es aus der Natur kam. Der
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