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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Freunde hier geblieben?«, fragte Pitt.
    »Nein«, sagte Ishaq leise. »Alle sind fort, aus verschiedenen Gründen. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Vermutlich hat man sie woanders hingeschickt. Euer Reich ist sehr groß. Vielleicht nach Indien? Man braucht ja nur noch an Suez vorbei durch den neuen Kanal, von da aus liegt die halbe Welt offen vor einem.«
    »Ja«, murmelte Pitt und hoffte aufrichtig, wenigstens einen dieser Männer in London ausfindig machen zu können, um die Befragung nicht telegrafisch durch irgendeinen Beamten der Militärbürokratie durchführen lassen zu müssen. Ishaq hatte Recht: Durch das Meisterwerk aus Verhandlungskunst und Technik, das der Suezkanal bedeutete, stand Großbritannien die halbe Welt offen. Wegen seiner großen Bedeutung für die Wirtschaft und die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung im ganzen Reich war es undenkbar, dass man Ägypten je die vollständige Selbstbestimmung zugestehen würde. Die Baumwolle spielte bei dieser Frage nur eine untergeordnete Rolle. Wie hatte Miss Sachari je auf den Gedanken kommen können, ihr Vorhaben lasse sich verwirklichen? Als Geisel wirtschaftlicher Abhängigkeit war Ägypten viel zu kostbar, als dass man es freigeben könnte.
    Er kam sich vor wie jemand, der einen komplizierten Knoten zu lösen versucht und feststellen muss, dass dieser immer fester wird, je mehr er an den einzelnen Fäden zieht. Die ganze Angelegenheit bedrückte ihn immer mehr.
    »Danke für Eure Gastfreundschaft«, sagte er und verneigte sich vor Ishaq. »Die Mahlzeit wie das Gespräch waren mir sehr willkommen. Ich stehe tief in Eurer Schuld.«
    Man konnte sehen, dass sich Ishaq über seine Worte freute, doch lag in seinem Ausdruck etwas Unbestimmbares. Im Licht der tiefergebrannten Kerzen konnte Pitt kaum noch Ishaqs Körperumriss ausmachen.
    Nach wenigen Minuten verließen Avram und Pitt unter wiederholten Dankesbezeugungen Ishaqs Behausung.
    Auf dem Rückweg konnten sie kaum erkennen, wo sie gingen. Nur noch gelegentlich brach sich das Licht eines Sterns im Wasser wie eine leichte Welle. Mit einem Mal merkte Pitt, wie müde er war. Er fühlte sich wie zerschlagen. Das lag nicht nur am langen Sitzen auf dem Boden, sondern auch an den Prellungen und Blutergüssen, die er bei dem Zwischenfall im Teppichbasar davongetragen hatte. Sein Kopf schmerzte nach wie vor von dem Schlag des Polizisten. Im Augenblick kannte er keinen sehnlicheren Wunsch, als sich auf ein weiches Lager sinken zu lassen und lange und tief zu schlafen. Dahinter trat sogar sein Bestreben zurück, eine Erklärung für Lovats Tod zu finden, die sowohl Ryerson als auch die Ägypterin von jedem Schuldvorwurf freisprach.
    Während er Avram folgte, ließ er sich mindestens ebenso sehr vom Geräusch seiner Schritte auf dem ausgedörrten Boden leiten wie vom dunklen Umriss seines Körpers, den er undeutlich vor sich wahrnahm. Nach knapp zwei Kilometern stießen sie auf ein einsam stehendes Haus fern vom Wasser. Dort nahm man sie über Nacht auf. Avram bezahlte, nicht ohne sich von Pitt versprechen zu lassen, dass dieser nach seiner Rückkehr nach Alexandria seinen Anteil begleichen würde. Wenn er weiter so mit dem Geld um sich warf, würde das, was er im Hotel hatte, nicht genügen, und er würde Trenchard bitten müssen, ihm einen Vorschuss zu geben. Mochten sich das Konsulat und Narraway über die Rückerstattung einigen.
     
    Am nächsten Morgen war es kühler als sonst. So weit außerhalb Alexandrias wirkte die Luft silbrig und durchscheinend. Die Landschaft zwischen dem Mahmudije-Kanal, der zum Meer führte, und dem großen Binnensee südlich der Stadt, auf dessen Fläche sich das Licht des frühen Morgens spiegelte, war von berückender
Schönheit. Die dunklen Umrisse von Kamelen, die lautlos mit wiegendem Schritt dahinzogen, schienen eher ein Traumbild als Wirklichkeit zu sein.
    Noch am selben Tage wollte Pitt die Zuständigen in der Garnison aufsuchen, in der Lovat gedient hatte. Gleich nach dem Frühstück, das aus Datteln und anderen Früchten, Brot und starkem schwarzen Kaffee in Tässchen bestand, die kaum größer waren als ein Fingerhut, brach er auf. Avram begleitete ihn, obwohl seine Gegenwart eigentlich nicht nötig war. Pitt nahm an, er komme hauptsächlich mit, um ihm keine Gelegenheit zu geben, sich seinen Verpflichtungen zu entziehen. Zwar hätte er selbst das gewiss nicht in so kränkender Weise gesagt, aber ihm dürfte daran gelegen sein, seine finanziellen Interessen zu

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