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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gesagt, dass se sich vor ’m Frühstück alle in ’ner Reihe aufstell’n und für die Königin und das Reich bet’n musst’n, un abends noch mal, bevor se schlaf’n geh’n durft’n. Der Butler hat immer vorgebetet. Desweg’n nehm ich an, dass auch Mr Stephen fromm ist. So was bleibt doch nich aus.«
    »Hätte der junge Herr da nicht mit dem Gemeindepfarrer sprechen können?«, fragte Charlotte in die Runde. An Tilda gewandt, fuhr sie fort: »Bestimmt sind die Leute doch sonntags zur Kirche gegangen?«
    »Aber ja«, sagte Tilda. »Darauf achtet Mr Garrick sehr streng. Je’n Sonntag, da konnte komm’, was wollte. Der ganze Haushalt. Zu Mittag gab’s immer ’ne vorbereitete kalte Platte, un die Köchin
hat schnell Gemüse aufgewärmt, wenn se aus der Kirche zurückgekomm’ sind.«
    »Und warum hat Ihr Bruder dann einen speziellen Priester für Mr Stephen suchen müssen?«, fragte Charlotte nachdenklich.
    Tilda schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung, aber er hat es mir gesagt. Jemand, den Mr Stephen von früher kannte. Er hat mit Soldat’n zu tun, denen ’s schlecht geht, solche, die trinken, Opium nehm’n und so.« Ein leichter Schauer überlief sie. »Das soll bei Seven Dials sein, wo ’s ziemlich wild zugeht. Die arm’n Kerle ha’m nix zu essen, frier’n, schlaf’n in irgendwelch’n Hauseingäng’n un wär’n am liebsten tot. Dass ’n Soldat uns’rer Königin so endet, gehört sich nich.«
    Niemand sagte etwas. Gracie sah Charlotte an und erkannte Mitleid und Ratlosigkeit auf ihren Zügen. Als sie sich Tellman zuwandte, sah sie zu ihrer Überraschung, dass diesem eine Idee kam. »Was is?«, fragte sie.
    Er fragte Tilda: »Hat Ihr Bruder diesen Mann gefunden?«
    »Wie er gesagt hat, ja. Warum woll’n Se das wiss’n? Glau’m Se, der weiß, was mit Martin is?« In ihrer Stimme schwang Hoffnung mit.
    »Möglich«, sagte Tellman zurückhaltend. Er wollte die junge Frau nicht unnötig enttäuschen. »Können Sie sich erinnern, ob er seinen Namen genannt hat?«
    »Ja ...« Tilda verzog vor Anstrengung das Gesicht. »Sand ... irgendwas mit Sand ...«
    Tellman sah zu Gracie hin, dann wieder auf Tilda. »Etwa Sandeman?«
    Tilda riss die Augen weit auf. »Genau der! Kenn’ Se den etwa?«
    »Ich habe von ihm gehört.« Tellman sah zu Charlotte hin.
    »Sie haben Recht«, stimmte sie zu, bevor er seine Frage gestellt hatte. »Wir sollten unbedingt versuchen, ihn zu finden. Wenn ihm Martin etwas gesagt hat, könnte das wichtig sein.« Sie biss sich auf die Lippe. »Außerdem haben wir keine bessere Möglichkeit.«
    »Es könnte schwierig sein, den Mann zu finden«, gab Tellman zu bedenken. »Das kann gut und gern eine gewisse Zeit in Anspruch
nehmen. Es gibt nach wie vor keinen Hinweis auf ein Verbrechen, also ...«
    »Ich kümmere mich darum«, fiel ihm Charlotte ins Wort.
    »Sie wollen in die Gegend von Seven Dials?« Tellman schüttelte den Kopf. »Sie haben keine Vorstellung, wie es da zugeht.«
    »Ich gehe bei Tageslicht hin«, sagte sie rasch. »Und ich ziehe meine ältesten Kleider an — Sie dürfen mir glauben, man wird mich für eine Frau aus dem Viertel dort halten. Zwischen acht Uhr morgens und sechs Uhr abends sind dort bestimmt viele Frauen auf der Straße. Ich höre mich nach dem Priester um. Sicher tun das auch andere Frauen, deren Angehörige beim Militär waren.«
    Tellman sah erst sie und dann Gracie an. Auf seinem Gesicht ließen sich die widerstreitenden Empfindungen deutlich erkennen.
    Charlotte lächelte. »Ich gehe«, sagte sie entschlossen. »Wenn ich ihn finde, habe ich eine bessere Aussicht, etwas über Martin zu erfahren, als Sie, sofern er wirklich in Stephen Garricks Auftrag dort war. Ich mache mich gleich fertig.« Sie wandte sich Tilda zu. »Sie können jetzt an Ihre Aufgaben zurückkehren. Gehen Sie jetzt besser. Sie können es sich nicht leisten, von Ihrer Herrschaft entlassen zu werden, weil Sie zu lange ausgeblieben sind.« Sie sah zu Tellman hin. »Danke für alles, was Sie getan haben. Ich weiß, dass es Sie einen großen Teil Ihrer Zeit gekostet hat ...« Wortlos tat er das mit einer Handbewegung ab. Er hätte ihr nicht sagen können, warum ihm die Sache wichtig war – vermutlich hätte er sich mit Worten nicht einmal selbst Rechenschaft darüber ablegen können.
    Sie stand auf, und die anderen betrachteten das als Aufforderung zu gehen.
     
    Ab Mittag zog Charlotte durch die Straßen um Seven Dials. Der sehr alte Rock, den sie trug, hatte einen Riss, dessen

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