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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Sie sich erinnern wollen.« Er merkte, wie müde er war. Seine Augen brannten von der Anstrengung, sie offen zu halten, und sein Körper schmerzte, weil er so lange im Zug gesessen hatte. Er fror trotz des Kaminfeuers, das in Narraways Büro brannte. Vielleicht trugen Hunger und Erschöpfung dazu bei. So stark war sein Wunsch, Charlotte wiederzusehen und in den Armen zu halten, dass es ihn große Mühe kostete, Narraway gegenüber die Form zu wahren. »Er hat hier vielen Männern und Frauen Anlass gegeben, ihn zu hassen«, fuhr er schroff fort. »Aber wir haben nichts in der Hand, was darauf hinweist, dass einer dieser Männer sich in der Nacht, als er ums Leben kam, in Eden Lodge aufgehalten hat. Oder haben Sie in der Zwischenzeit etwas entdeckt?«
    Narraway verzog das Gesicht. Verblüfft sah Pitt, welche Kraft in diesem Mann verborgen lag. Was er empfand und dachte, beherrschte
den Raum und hätte es sogar dann getan, wenn er voller Menschen gewesen wäre. Zum ersten Mal ging Pitt auf, wie wenig ihm über diesen Menschen bekannt war, in dessen Händen seine Zukunft und mitunter möglicherweise sogar sein Leben lag. Weder wusste er etwas über dessen Familienverhältnisse, noch hatte er eine Vorstellung davon, woher er kam. Allerdings war das auch unerheblich, denn derlei war ihm auch über seine früheren Vorgesetzten Micah Drummond und John Cornwallis nicht bekannt gewesen. Er hatte es auch gar nicht wissen wollen – er hatte ihre Überzeugungen gekannt, gewusst, was ihnen wichtig war, und sie verstanden, bisweilen wohl besser als sie sich selbst. Allerdings besaß er auch mehr Erfahrung mit der Menschennatur als diese Männer, die jeweils nur den kleinen Ausschnitt kannten, mit dem sie im Laufe ihres Lebens in Berührung gekommen waren.
    Narraway war weltoffener, erfahrener, ein geschickter Taktierer. Nie gab er absichtlich etwas von sich selbst preis. Geheimhaltung und Täuschung bildeten die Grundsätze, nach denen er seinen Beruf ausübte, die Fähigkeit, in den Besitz von Informationen zu gelangen, ohne selbst welche preiszugeben. Es war für Pitt eine völlig neue Erfahrung, dass er sich genötigt sah zu vertrauen, ohne sehen zu können, in welche Richtung es ging, und sie behagte ihm nicht.
    »Und, haben Sie etwas entdeckt?«, wiederholte er. Diesmal klang es herausfordernd.
    Einen Augenblick lang sahen sie einander schweigend an. Pitt war nicht sicher, ob er sich eine Auseinandersetzung leisten konnte, aber er war zu müde, um vorsichtig zu sein.
    Mit entschlossener Stimme, als habe er sich soeben entschieden, die Zügel des Gesprächs in die Hand zu nehmen, sagte Narraway: »Leider nicht. Aber unser Auftrag lautet, Ryerson nach Möglichkeit zu decken.«
    »Auch um den Preis, dass eine Unschuldige gehängt wird?«, fragte Pitt verbittert.
    »Aha!« Narraways Züge entspannten sich, als habe er etwas Aufschlussreiches erfahren. »Sind Sie mittlerweile zu der Ansicht gelangt,
dass die Frau schuldlos ist? Dann müssten Sie in Ägypten etwas entdeckt haben, was Sie mir vorenthalten haben. Ich glaube, jetzt wäre ein günstiger Zeitpunkt, diese Enthüllung nachzuholen. Die Verhandlung beginnt morgen.«
    Pitt fühlte sich, als hätte man ihn geohrfeigt. Am nächsten Tag! Damit blieb keine Zeit mehr, etwas zu unternehmen. Die Worte entquollen seinem Mund, als wäre es ihm unmöglich, sie daran zu hindern.
    »Bei meiner Abreise nach Ägypten habe ich sie mir als schöne Frau mit lockerer Moral vorgestellt, die bereit war, sich mittels ihrer weiblichen Reize ein ihr normalerweise nicht zugängliches behagliches Leben in Wohlstand zu verschaffen.« Er merkte, dass ihn Narraway nicht aus den Augen ließ. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »Zurückgekommen bin ich mit der Erkenntnis, dass sie aus einer erstklassigen Familie stammt und vermutlich weit gebildeter ist als neun Zehntel aller Herren der Londoner Gesellschaft, von den Damen ganz zu schweigen. Sie setzt sich voll Leidenschaft für das Wohlergehen und die wirtschaftliche Unabhängigkeit ihres Landes ein. Einmal hat man sie aufs Schändlichste hintergangen, und möglicherweise fällt es ihr schwer, je wieder einem Mann zu vertrauen, wie sehr auch immer er beteuern mag, es ernst zu meinen. Dennoch hat sie im Gefängnis nichts gesagt, was Ryerson in den Fall verwickeln könnte.«
    »Und was beweist das Ihrer Ansicht nach?«, fragte Narraway. »Dass es etwas Wichtiges gibt, was wir nicht wissen«, erwiderte Pitt und schob seinen Sessel zurück. »Wir

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