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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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natürlich«, antwortete Gracie mit fester Stimme.
    Charlotte, die inzwischen den Kessel aufgesetzt hatte, wandte sich vom Herd ab. Ihre Augen leuchteten. »Unbedingt«, bekräftigte sie, ohne Gracie anzusehen.
    Er merkte, dass zwischen den beiden ein Einverständnis bestand, als hätten sie ihre Antwort abgesprochen, bevor er eingetreten war.
    »Was habt ihr denn so getrieben?«, fragte er leichthin.
    Nach einem Zögern, so kurz, dass es ihm entgangen wäre, wenn er sie nicht so aufmerksam angesehen hätte, sah sie ihn an. Es kam ihm ganz so vor, als hätte sie sich zuerst an Gracie wenden wollen und es sich dann anders überlegt.
    »Was habt ihr denn so getrieben?«, wiederholte er, bevor ihr eine Ausrede einfiel, bei der sie nicht fürchten musste, sie später nicht zurücknehmen zu können.
    Sie holte tief Luft. »Gracie hat eine gute Bekannte, deren Bruder allem Anschein nach verschwunden ist. Wir haben festzustellen versucht, was mit ihm passiert sein könnte.«
    Er deutete ihren Gesichtsausdruck richtig. »Aber ohne Erfolg«, sagte er.
    »Vor allem wissen wir nicht, wie wir weitermachen sollen. Ich sage dir alles ... morgen.«
    »Warum nicht gleich?« Diese Frage entsprang der Besorgnis, der Grund für ihre Verzögerungstaktik könne darin liegen, dass ihm etwas an der Sache missfiel oder ihn störte.
    Sie lächelte. »Weil du müde bist und Hunger hast und es weit bessere Themen gibt, über die wir uns unterhalten können. Wir haben es versucht und nicht besonders viel erreicht.«
    Als sei sie jetzt erlöst und müsse nicht mehr auf jedes Wort warten, eilte Gracie in die Speisekammer, um kaltes Fleisch aufzuschneiden, und Charlotte ging nach oben, um die Kinder zu wecken.
    Daniel und Jemima kamen die Treppen herabgerannt und begrüßten den Vater so stürmisch, dass er fast mitsamt seinem Stuhl umgefallen wäre. Sie umarmten ihn und bedrängten ihn mit zahlreichen Fragen nach Ägypten, Alexandria, der Wüste, dem
Schiff. Während er antwortete, fielen sie ihm mitten im Satz ins Wort, um weitere Fragen zu stellen. Schließlich öffnete er seinen Koffer und gab jedem das für ihn bestimmte Geschenk, worüber sie sich von Herzen freuten.
     
    Am folgenden Morgen aber, als Gracie beim Einkaufen und die Kinder in der Schule waren, kam er auf die Angelegenheit zu sprechen, die Charlotte am Vorabend erwähnt hatte. Er hatte lange geschlafen, und als er nach unten kam, war sie beim Brotbacken.
    »Wer ist dieser verschwundene Bruder?«, fragte er, während sie ihm Tee und Toast hinstellte und er im Marmeladentopf herumstocherte, um zu sehen, ob noch genug für ihn da war. Der kräftige Geruch der Orangenmarmelade gehörte zu seinen Lieblingsdüften, und es schien Monate zurückzuliegen, dass er zum letzten Mal krossen Toast gegessen hatte. Nachdem er festgestellt hatte, dass der Inhalt des Topfes reichen dürfte, hob er den Blick zu ihr. »Nun?«
    Auf ihrem Gesicht lagen Schatten. Sie knetete mechanisch weiter. »Er ist Kammerdiener bei Stephen Garrick am Torrington Square. Eine ausgesprochen achtbare Familie, wenn auch Tante Vespasia den Vater – Ferdinand Garrick – nicht leiden kann. Sie sagt, er sei ein ...« Sie sprach nicht zu Ende, weil sie den verwunderten Ausdruck auf seinem Gesicht sah.
    »Ferdinand Garrick?«, fragte er.
    »Ja, kennst du ihn etwa?«
    »Er war Garnisonskommandeur in Alexandria, als Lovat krankheitshalber entlassen wurde«, sagte er.
    Sie hörte auf, den Teig zu kneten, und hob den Blick zu ihm. »Das ist doch sicher nur ein Zufall ... oder hat das etwas zu bedeuten?« , fragte sie. Noch während sie die Sache einzuordnen versuchte, kamen ihr andere Gedanken, Zweifel, Erinnerungen an dies und jenes, was Sandeman gesagt hatte.
    »Was hast du?«, fragte Pitt.
    Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Ich fürchte wirklich, Martin Garvie könnte etwas zugestoßen sein«, sagte sie mit
Nachdruck. »Und vielleicht auch Stephen Garrick. Ich habe in der Gegend um Seven Dials den Priester aufgespürt, bei dem Martin unmittelbar vor seinem Verschwinden war. Er kümmert sich vor allem um ehemalige Soldaten, denen es schlecht geht.« Sie sah die Besorgnis auf seinen Zügen und sprach rasch weiter, bevor er sie äußern konnte. »Ich bin am hellen Tag hingegangen, da war es völlig ungefährlich! Wirklich, Thomas, der Mann war entsetzlich nervös.« Noch während sie daran dachte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. Er hatte nichts mit dem Schmutz und der Verzweiflung zu tun, deren

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