Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
sie Zeuge geworden war, sondern ging auf die unverhüllte Qual zurück, die sie auf Sandemans Gesicht erkannt hatte.
    Pitt dachte nicht mehr an seinen Tee, der allmählich kalt wurde, und fragte erstaunt: »Ein Priester? Wozu? Hat er dir etwas sagen können?«
    »Nein ... nicht mit Worten.«
    »Was soll das heißen? Wie denn, wenn nicht mit Worten? Nun sag schon!«
    »Mit der Art, wie er reagiert hat«, gab sie zur Antwort. Sie setzte sich ihm gegenüber, ohne das Brot fortzuräumen. Das konnte ohne weiteres eine Weile stehen bleiben. »Als ich Martins Namen genannt habe, hat er die Fassung so vollständig verloren, dass er eine ganze Weile kein Wort herausgebracht hat.« Ihr war klar, dass sich ihrer Stimme die Empfindungen anhören ließen, die mit einem Mal wieder in ihr aufgestiegen waren. »Ich nehme an, dass er etwas ganz Entsetzliches weiß«, sagte sie leise. »Er darf es aber nicht weitersagen, weil man es ihm in der Beichte anvertraut hat. Nichts konnte ihn zu einer Sinnesänderung bewegen, nicht einmal mein Hinweis, dass Martins Leben in Gefahr sein könnte.« Wartend sah sie ihn aufmerksam an, voll Sehnsucht, er möge diese Bürde von ihrer Seele nehmen, ihr irgendeine Möglichkeit aufzeigen, wie man helfen konnte, auf die sie bisher nicht verfallen war.
    »Wer bedroht sein Leben?«, fragte er.
    »Das weiß ich nicht«, räumte sie ein. In knappen Worten teilte sie ihm das wenige mit, das sie in Erfahrung gebracht hatte, wie
auch ihre daraus gezogenen Schlüsse. »Aber ganz gleich, was ihm Martin gesagt hat, Mr Sandeman war nicht ...« Sie hielt inne. Pitt hatte die Augen weit geöffnet, sein Gesicht war bleich und sein Körper mit einem Mal so starr, als hätte er ein Gespenst gesehen.
    »Thomas – was ist mit dir?«
    »Hast du ›Sandeman‹ gesagt?«, fragte er mit belegter Stimme.
    »Ja — warum? Weißt du etwas über ihn?« Sie spürte seine Unruhe. »Wer ist der Mann?« Sie hoffte, er werde nichts Widerwärtiges über ihn sagen, da sie den Eindruck gewonnen hatte, dass er seine Mitmenschen mit ungeheucheltem Mitgefühl behandelte. Trotzdem wollte sie die Wahrheit wissen, denn es würde nichts nützen, die Augen vor ihr zu verschließen. »Weißt du etwas über ihn?«, wiederholte sie.
    »Das kann ich noch nicht sagen«, gab er vorsichtig zur Antwort. »Aber Lovat hatte beim Militär drei gute Kameraden, mit denen er den größten Teil seiner dienstfreien Zeit verbrachte. Sie hießen Garrick, Sandeman und Yeats. Du hast gesagt, dass sowohl der junge Garrick als auch Sandeman in Gefahr oder in Schwierigkeiten sein könnten. Das dürfte schwerlich ein Zufall sein.«
    »Was ist mit Yeats?«
    »Soweit ich gehört habe, ist er tot, aber ich muss mich noch vergewissern.«
    »Dann hatte also Lovats Tod etwas mit Ägypten zu tun und nicht unbedingt mit Ryerson?«, fragte sie. Sie wunderte sich, dass in diesen Worten keinerlei Hoffnung mitschwang. Noch eine Stunde früher hätte sie so reagiert.
    »Denkbar«, gab er zurück. »Trotzdem ergibt all das keinen Sinn. Warum jetzt, so viele Jahre nachdem er Alexandria verlassen hat? Und was hat Miss Sachari mit der Sache zu tun? Lovat hatte nicht die Absicht, sie zu heiraten, er war einfach in sie verschossen. Nach allem, was ich erfahren habe, hat auch sie ihn nicht geliebt.«
    »Wirklich?«, fragte Charlotte zweifelnd.
    Er lächelte. »Ja. In Wahrheit hat sie einen anderen Mann geliebt, völlig anders als Lovat. Er gehörte ihrem Volk an, war älter als die beiden und war ein Patriot. Er hatte nur den Charakterfehler, dass
er nicht nur sie verraten hat, sondern zugleich alles, woran sie und angeblich auch er glaubte.«
    »Wie schade«, sagte sie leise. Es war ihr ernst damit. Sie kannte die Ägypterin nicht und wusste kaum etwas über sie, dennoch versuchte sie sich die Bitterkeit der Enttäuschung und das Ausmaß ihrer Qual vorzustellen. »Aber es kann doch wohl kein Zufall sein, dass man Lovat im Garten ihres Hauses erschossen hat?« Sie sah ihn fragend an, erkannte Mitgefühl und Zögern auf seinen Zügen. Es kam ihr vor, als stehe er der Tragödie völlig anders gegenüber als zuvor. Über den Tisch hinweg legte sie ihre Hand auf seine. Er drehte seine Hand um und umschloss mit seinen Fingern sanft die ihren.
    »Vermutlich nicht«, erwiderte er. »Auf jeden Fall muss ich genau wissen, was mit Yeats ist. Falls er tatsächlich nicht mehr leben sollte, muss ich die genauen Gründe und Umstände seines Todes feststellen.«
    »Die Verhandlung gegen Ryerson

Weitere Kostenlose Bücher