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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Ehrgeiz entwickeln können — jetzt j a wohl kaum.«
    Er errötete ein wenig. »All das ist mir bekannt, Mrs Pitt. Viele Menschen tun Bedeutendes, ohne in der Öffentlichkeit Anerkennung zu finden, ja, möglicherweise nicht einmal Dank. In einem solchen Fall liegt der einzige Trost darin, dass zumindest nicht für sein Versagen getadelt werden kann, wer für seine Erfolge nicht gelobt wird.« Ein Schatten legte sich auf seine Züge. Er war sichtlich bemüht, seine Gefühle zu beherrschen. »Irgendwann versagt jeder von uns einmal.«
    Trotz aller Sorgfalt, nicht durchblicken zu lassen, woran er dabei dachte, schwang in seinen Worten eine so tiefe Bedeutung mit, dass sie begriff: Er sprach von sich selbst und von etwas, was er auf schmerzliche Weise gelernt und nicht etwa bei anderen beobachtet hatte. Hinter seinen Worten stand keine Vermutung, sondern Wissen.
    »Ich mache mir aufrichtig Sorgen um Sie, Mrs Pitt«, fuhr er fort. »Natürlich hat der Mann keinen Einfluss auf das, was Ihre Freunde von Ihnen halten, wohl aber kann er grausam in das Geschick Ihrer Familie eingreifen, wenn ihm danach zumute ist oder er sich verletzlich vorkommt.« Er sah sie aufmerksam an. Sie hatte das Empfinden, als lasse sein Blick sie nicht los — fast so, als halte er sie körperlich fest.
    »Glauben Sie, dass Martin Garvie ein Leid geschehen ist?«, fragte sie. »Bitte sagen Sie offen, ob ich etwas tun kann, um zu helfen. Eine Lüge, wie tröstlich sie auch klingen mag, wird an meinem Verhalten nichts ändern, das sage ich Ihnen gleich.«
    In seine Augen trat neben alle anderen Empfindungen ein Funke von Humor. »Ich habe keine Ahnung. Ich kann mir auch keinen Grund dafür denken. Wie viel wissen Sie über ihn?«
    »Sehr wenig. Aber seine Schwester Matilda kennt ihn von klein auf, und sie hat Angst«, sagte sie.
    »Könnte es sein, dass sie gekränkt ist?«, fragte er mit minimal gehobenen Brauen. »Dass sie sich einander entfremdet haben und sie nicht damit zurechtkommt? Möglicherweise fühlt sie sich einsam
und stärker an ihn gebunden als er sich an sie? Kann es sein, dass sie bereit ist, sich alles Mögliche einzubilden, bis hin zu Gefahren, vor denen sie ihn bewahren muss, weil all das für sie einfacher wäre als das Bewusstsein, dass er sie in Wahrheit nicht braucht?«
    Wieder nahm sie Trauer in seiner Stimme wahr, sah, wie das Licht der Gaslampe die Spur eines alten Schmerzes nachzeichnete, von dem davor nichts zu sehen war. Ganz offenkundig hatte er sich auch über Tilda informiert.
    »Möglich ist all das selbstverständlich«, räumte sie bereitwillig ein. »Aber das ändert nichts daran, dass man sich nach seinem Ergehen erkundigen muss.« Fast hätte sie hinzugefügt, dass ihm das ebenso klar sein müsse wie ihr, doch da sie erkannte, dass er sie verstand, ließ sie es ungesagt.
    Eine Weile standen sie einander schweigend gegenüber. Dann richtete er sich zu voller Größe auf. »Trotzdem muss ich Sie ersuchen, Mrs Pitt, im Interesse Ihrer eigenen Sicherheit keine weiteren Nachforschungen in Bezug auf Mr Garrick anzustellen. Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass er einem Dienstboten etwas angetan haben könnte, von einer Rufschädigung abgesehen, und daran könnten Sie ohnehin nichts ändern.«
    »Ich würde Ihren Rat gern befolgen, Mr Narraway«, sagte sie gleichmütig, »doch sofern ich eine Möglichkeit sehe, Tilda Garvie zu helfen, werde ich das auf jeden Fall tun. Ich kann mir nicht denken, auf welche Weise das Mr Garrick schaden könnte, es sei denn, er hätte sich eine Ungerechtigkeit zuschulden kommen lassen. In dem Fall aber müsste er wie jeder andere Rechenschaft dafür ablegen.«
    Ärger trat auf Narraways Züge. »Aber doch nicht Ihnen, Mrs Pitt! Haben Sie denn nicht ...« Er hielt inne.
    Sie lächelte ihn bezaubernd an. »Nein«, sagte sie. »Habe ich nicht. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten? Zwar nur in der Küche, aber dennoch von Herzen.«
    Er stand reglos da, als wenn von seiner Entscheidung große Dinge abhingen. Man hätte glauben können, er sei imstande, vom Wohnzimmer aus die Wärme, die vertraute Behaglichkeit gescheuerten
Holzes, reiner Wäsche, glänzenden Porzellans auf der Anrichte und den angenehmen Geruch von Essen in der Küche wahrzunehmen.
    »Nein, danke«, sagte er schließlich. »Ich muss nach Hause.« In seiner Stimme lag ein Bedauern, das er nicht in Worte fasste. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Mr Narraway.« Sie brachte ihn zur Tür und sah der schmalen, sehr

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