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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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beginnt heute«, sagte sie und sah ihn aufmerksam an.
    »Ich weiß. Ich werde versuchen, das vorher zu ermitteln.« Nach kurzem Zögern ließ er ihre Hand los, schob den Stuhl zurück und stand auf.
     
    Zurück auf der Treppe des großen Gebäudes, zwinkerte Pitt heftig mit den Augen. Der Grund dafür war weniger das milde Licht der Herbstsonne, als das, was er soeben in Erfahrung gebracht hatte.
    Arnold Yeats lebte nicht mehr. Knapp vier Jahre nach seiner Rückkehr aus Ägypten war er nach Indien abkommandiert worden. Das konnte nur heißen, dass seine Gesundheit vollständig wiederhergestellt war. Er wurde als bemerkenswert tapferer Offizier geschildert, ein Mann, der vor nichts Angst hatte und in dem seine Männer einen Helden sahen, dem sie bedenkenlos überallhin folgten.
    »Er war so verwegen, dass man es schon als tollkühn bezeichnen muss«, hatte der Zuständige im Militärarchiv gesagt und Pitt betrübt angesehen. »Einer von denen, die des Teufels Großmutter
aus der Hölle holen. Ein einziges Mal hat er zu viel riskiert. Er hat nach dem Tod eine Auszeichnung dafür bekommen. Wirklich schade ... wir können es uns nicht leisten, solche Männer zu verlieren.«
    »Sie sagen also, dass er tollkühn war?«, hatte Pitt gefragt.
    »Das ist nicht ganz das richtige Wort«, hatte der Mann abweisend gesagt. Als Pitt merkte, dass er nichts mehr aus ihm herausbringen würde, hatte er ihm gedankt und war gegangen.
    Von den vier Männern, die gemeinsam in Alexandria gedient hatten, waren also zwei tot. Einer war auf dem Schlachtfeld gefallen, einer ermordet, einer, wie es aussah, verschwunden, und der vierte, der als Priester in der Gegend von Seven Dials wirkte, war bei der Erwähnung des Namens Garrick vor Entsetzen erstarrt.
    Pitt machte auf dem Absatz kehrt, überquerte den Gehweg und trat auf die Fahrbahn, um die nächste vorüberkommende Droschke anzuhalten.
     
    Im Vorraum des Kriminalgerichts Old Bailey herrschten ein Heidenlärm und ein entsetzliches Gedränge. Eine große Zahl von Neugierigen versuchte den Eingang des Schwurgerichtssaals zu erreichen, in dem die Verhandlung stattfinden sollte. Mit Mühe arbeitete sich Pitt durch die Menge vor, doch als er die hohe Doppeltür erreicht hatte, vertrat ihm ein Polizeibeamter den Weg.
    »Tut mir Leid, Sir, Sie können da nicht rein. Da hätten Sie früher kommen müssen. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, so ist das nun mal.«
    Pitt holte Luft, um aufzubegehren, doch er wusste, dass es sinnlos sein würde. Er hatte keinerlei Vollmacht, die er dem Beamten zeigen konnte, um doch noch eingelassen zu werden. In dessen Augen war er nichts als ein weiterer Gaffer, der gekommen war, um mit anzusehen, wie ein Mächtiger stürzte, und um einen Blick auf eine exotische Frau zu erhaschen, die man des Mordes beschuldigte. Von diesen Menschen waren mehr als genug da. Sie drängten von hinten, traten ihm auf die Füße und stießen ihm ihre Ellbogen in den Rücken. Das Gesicht des Beamten war hochrot und glänzte
vor Schweiß. Unübersehbar kostete es ihn große Mühe, sich zu beherrschen.
    »Dann warte ich hier«, sagte Pitt.
    »Das hat keinen Sinn, Sir. Heute wird da drin kein Platz mehr frei.« Kopfschüttelnd wies er auf die Türflügel.
    »Ich muss aber unbedingt mit jemandem im Saal sprechen«, teilte ihm Pitt mit.
    Der Mann sah ihn zweifelnd an, sagte aber nichts.
    Pitt ging beiseite und wartete ungeduldig im Gang vor der nächsten Tür.
    Nach einer Stunde war Pitt schon so weit, sich zu fragen, ob er nicht seine Zeit vergeudete, indem er auf Narraway wartete. Womöglich war er gar nicht dort. Doch er folgte seinem Impuls zu warten, bis die Sitzung vertagt wurde. Als sich schließlich die Türen öffneten, trat Pitt auf einen kleinen, schmalen Mann mit braunem Haar zu, der herausgekommen war und sich vor der Tür nach links und rechts umsah. »Entschuldigung, Sie waren doch bei der Verhandlung gegen Ryerson und die Ägypterin?«
    »Ja«, bestätigte der Mann. »Aber da drin is es gesteckt voll, da komm’n Se nich rein.«
    »Wie ist die Sache denn bis jetzt abgelaufen?«
    Der Mann zuckte die Achseln. »Das Übliche —’n Haufen Polizisten sagt aus, was se mitgekriegt ha’m. Is doch völlig klar, dass die Alte den abgemurkst hat. Is mir schleierhaft, wie die glauben konnte, dass se damit durchkommt.«
    Pitt ließ den Blick über die Menge der Menschen schweifen, die hoffnungsvoll warteten, als gebe es für sie doch noch eine Möglichkeit, Zuschauer des Dramas zu werden,

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