Die Frau aus Alexandria
ihn in die Arme, wenn er weinte, und wiegte ihn, während das Schluchzen seinen Körper erschütterte.
Voll Stolz sah ihr Pitt zu. Unwillkürlich musste er an die wohlbehütete junge Dame denken, die sie gewesen war, als er sich in sie verliebt hatte. Das Mitgefühl, das sie hier zeigte, ließ sie noch schöner erscheinen, als er sie sich je erträumt hatte.
Aus Garricks Worten ergab sich, dass die vier jungen Offiziere beinahe gleich zu Anfang ihrer Stationierung in Ägypten Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Da sie aus einem ähnlichen familiären Hintergrund kamen und ähnliche Interessen hatten, war es kein Wunder, dass sie den größten Teil ihrer dienstfreien Zeit miteinander verbrachten.
Zur Tragödie war es gekommen, als sie erfuhren, dass ein von den Christen verehrter Schrein am Ufer des Nils auch den Moslems heilig war.
Da diese Menschen ihrer Ansicht nach Christus leugneten, hatten sie eines Abends unter dem Einfluss des Alkohols beschlossen,
den Schrein in den Augen der Moslems zu entweihen, damit ihn keiner von ihnen je wieder betrat. So hatten sie voll religiösem Eifer ein Schwein entwendet und inmitten des Heiligtums abgestochen, wobei sie das Blut des Tieres überallhin verspritzten. Da den Moslems Schweine als unrein gelten, durften sie sicher sein, diese auf alle Zeiten von dort vertrieben zu haben, denn sie würden fortan Ekel vor dieser Stätte empfinden.
An dieser Stelle seines Berichts bekam Garrick einen solchen Tobsuchtsanfall, dass es nicht einmal Narraway mit seiner Engelsgeduld gelang, noch etwas Sinnvolles aus ihm herauszubringen. Anschließend sank er in sich zusammen und lehnte sich leicht an Charlotte, die neben ihm auf dem Sofa saß. Nur seine weit geöffneten Augen, mit denen er auf irgendein entsetzliches Bild in seinem Gehirn blicken mochte, zeigten, dass noch Leben in ihm war.
Die gellenden Schreie, die er ausgestoßen hatte, würde sie lange nicht vergessen.
Sie lächelte Narraway ein wenig befangen zu. »Wahrscheinlich ist es für Sie wichtig, genauer zu wissen, was vorgefallen ist?«
Seine Augen weiteten sich kaum wahrnehmbar. »Sandeman?«
»Sie müssen wohl, nicht wahr?«
»Ja. Tut mir Leid.« Ihr war klar, dass er das aufrichtig meinte.
Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er noch etwas sagen, doch dann schien er es sich anders zu überlegen. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Garrick zu, sprach ihn aber nicht an, da er ganz offensichtlich nichts von dem mitbekam, was gesagt wurde. Stattdessen legte sie ihm einfach eine Hand auf die Schulter und strich ihm mit der anderen über das Haar. Was auch immer er getan hatte, es quälte ihn mehr, als er zu ertragen vermochte. Sie sah keinen Grund, ihn zu verurteilen, und nichts, was sie oder sonst jemand tun konnte, wäre für ihn eine entsetzlichere Strafe als die, unter der er bereits litt.
Narraway wandte sich an Pitt. Es war fast vier Uhr morgens. »Hier können wir nichts mehr für ihn tun. Ich kenne ein Haus, wo er in Sicherheit ist, bis wir etwas finden, wo er auf Dauer bleiben kann.«
»Wird man ihm dort helfen?«, fragte Charlotte, während sie ihnen die Haustür aufhielt und Garvie den Männern half, Garrick hinauszubringen, wobei er ununterbrochen sanft auf ihn einredete. Es war unübersehbar, dass Garrick das Haus nicht verlassen wollte. Weder Narraways Versicherungen, man werde ihn auf keinen Fall nach Bedlam zurückbringen, noch Garvies Versprechen, bei ihm zu bleiben, vermochten ihn zu beruhigen. Erst als sie auf dem Gehweg standen und Garrick sich noch einmal verzweifelt umsah, begriff Narraway, dass er nicht das Haus meinte, sondern Charlotte. Der Anflug eines tiefen Mitgefühls trat auf seine Züge, verschwand aber sogleich wieder.
Charlotte wandte sich um und schloss die Tür. Dann lehnte sie sich dagegen und rang nach Luft. Sie kam sich wie eine Verräterin an Garrick vor, weil sie zugelassen hatte, dass man ihn fortbrachte. Alle Vernunftgründe, die ihr sagten, dass es keine andere sinnvolle Lösung gab, vermochten die Erinnerung an die Angst in seinen Augen nicht zu tilgen, an die Verzweiflung, die ihn erfasst hatte, als er begriff, dass sie ihn nicht begleiten würde.
»Geh’n Se noch mal zu dem Priester?«, fragte Gracie ganz ruhig, als sie in die Küche zurückgekehrt waren. »Se müss’n doch die Wahrheit rauskrieg’n.«
»Ja«, sagte Charlotte zögernd. »Sicher steckt noch sehr viel mehr dahinter. Das kann gar nicht anders sein.« Sie fuhr sich mit der Hand über die
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