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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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vorerst seinem Schicksal zu überlassen.
    Inzwischen hatten sie den Anstaltskomplex einmal umrundet und befanden sich wieder vor dem Eingang. Niemand war auf dem Gehweg zu sehen. Pitts Herz sank, ein kalter Schauer überlief ihn, und er spürte, wie sich sein Magen zusammenzog.
    »Zur Keppel Street!«, rief er dem Kutscher zu. »Ganz sacht und langsam.« Er spürte, wie der Wagen in der Kurve schwankte, als sie
erst in die Brook Street und bald darauf in die Kennington Road einbogen, von wo es zurück zur Brücke von Westminster ging.
    Die Fahrt erschien Pitt wie ein Alptraum. Mittlerweile war der Nebel so dicht geworden, dass die Pferde nur noch im Schritt gehen konnten. Allerdings hielt der Kutscher damit niemanden auf, denn es herrschte keinerlei Verkehr. Stephen Garrick ließ sich nach vorn sinken, weinte und stöhnte abwechselnd, als läge er im Sterben und litte unter Höllenpein. Hin und wieder versuchte ihn Garvie zu trösten, was ihm aber nicht gelang, und die Mutlosigkeit in seiner Stimme zeigte an, dass ihm die Vergeblichkeit seines Tuns bewusst war.
    Verzweifelt überlegte Pitt, was er tun könnte, falls Narraway nicht bald auftauchte. Er malte sich immer entsetzlichere Bilder von dessen Geschick aus. Hatte man ihn wegen Entführung eines Insassen festgenommen oder ihn dort behalten, weil man ihn für verrückt hielt, und ihn in eine der Zellen mit den gepolsterten Wänden gesperrt? Oder hatte man ihm ein starkes Beruhigungsmittel gegeben, damit er endlich aufhörte zu behaupten, er sei bei klarem Verstand?
    Jetzt lag die Themse hinter ihnen, und die Fahrt ging nordostwärts weiter. Einerseits wollte Pitt, dass sie möglichst schnell ihr Ziel erreichten, damit er bald in der Wärme und der Helligkeit seiner vertrauten Umgebung eintraf und zumindest Charlotte ihm helfen konnte. Auf der anderen Seite konnte es ihm nicht langsam genug gehen, damit Narraway eine Gelegenheit hatte, sie einzuholen und die Dinge wieder in die Hand zu nehmen.
    Inzwischen befanden sie sich auf einer verkehrsreichen Straße. Gedämpft drangen das Klirren von Pferdegeschirr und der trübe Schimmer von Kutschenlaternen durch den Nebel, und undeutlich spiegelten sich Bewegungen in blank geputztem Messing.
    Mit einem Mal richtete sich Garrick auf und schrie, als müsse er um sein Leben fürchten. Pitt erstarrte, dann ergriff er den Arm des Mannes und drückte ihn auf den Sitz zurück. Dabei wankte der Aufbau der Droschke so sehr, dass die eisenbeschlagenen Räder auf den glatten Pflastersteinen ins Rutschen gerieten und die Pferde,
von Panik getrieben, im Galopp voranstürmten. Doch bald hatte der Kutscher die Gewalt über die Tiere zurückerlangt, und schon nach hundert Metern zockelte die Kutsche so gemächlich dahin wie zuvor.
    Pitt versuchte, sein hämmerndes Herz zu beruhigen. Er hielt Garrick fest, der inzwischen unzusammenhängende Wortfetzen vor sich hin brabbelte, ohne im Geringsten auf Garvies Beruhigungsversuche zu reagieren.
    Schließlich hielt der Kutscher an und teilte ihnen mit lauter und vor Angst zitternder Stimme mit, sie seien in der Keppel Street angekommen und sollten sein Fahrzeug so rasch wie möglich verlassen.
    Weil Pitt so lange mit angespannten Muskeln gesessen hatte, war er völlig steif, sodass er beim Aussteigen fast zu Boden gestürzt wäre. Anschließend war er Garrick behilflich. Dieser ließ sich, scheinbar willenlos, auf das Pflaster sinken, sprang dann aber unvermutet auf die Füße und begann erstaunlich flink davonzulaufen. Sprachlos und starr sah Garvie das mit an, offenbar unfähig, sich zu rühren.
    Pitt setzte dem Flüchtigen nach, doch war dieser schon ein ganzes Stück voraus. Gerade als Garrick die Straße überqueren wollte, ruderte er auf einmal haltlos mit den Armen in der Luft und stürzte dann mit dem Gesicht nach vorn auf das Pflaster. Es war so dunkel und neblig, dass Pitt den Grund dafür nicht erkennen konnte.
    Kaum hatte er ihn erreicht, als er sich auf ihn warf. Garrick winselte wie ein verwundetes Tier, hatte aber entweder nicht die Kraft oder nicht den Willen zu kämpfen. Als Pitt ihn ziemlich unsanft vom Boden aufhob, sah er im Schlagschatten vor sich einen Mann stehen. Er setzte zu einer Erklärung der Situation an, da erkannte er zu seiner großen Erleichterung Narraway. Einen Augenblick lang versagte ihm die Stimme, und er stand einfach am ganzen Leibe zitternd da, ohne allerdings Garrick loszulassen.
    »Nun denn«, sagte Narraway knapp. »Wenn wir hier schon vor Ihrer

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