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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Angelegenheit, die so bedeutend war, dass der Premierminister höchstpersönlich eingriff, nicht selbst mit Ryerson sprach. Der Grund dafür konnte kaum sein, dass er befürchtete, erkannt zu werden, denn ganz davon abgesehen, dass sich um diese Tageszeit keine Zeitungsreporter am Paulton Square aufhalten würden, gehörte Narraway nicht zu den jedermann bekannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens.
    Es musste etwas geben, was er Pitt vorenthielt. Dieser Gedanke verursachte ihm Unbehagen, zumal dieser Punkt möglicherweise wichtig war.
    Er hielt eine Droschke an und ließ sich zur Danvers Street in unmittelbarer Nähe des Paulton Square fahren. Das letzte Stück des Weges ging er zu Fuß. Zwar behagte ihm diese Geheimnistuerei nicht, doch begriff er ihren Sinn. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Er hatte im Laufe seiner Arbeit für den Sicherheitsdienst gelernt, bestimmte Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass er beschattet wurde.
    Bis er die Treppe, die zum Haus Nummer sieben emporführte, erreicht hatte, war er zu einem Ergebnis gekommen, wie er die Sache angehen würde.
    »Guten Morgen, Sir«, begrüßte ihn ein auffällig blonder, livrierter Lakai mit teilnahmsloser Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
    Pitt erwiderte den Gruß, richtete sich zu voller Größe auf und gab den offenen Blick des Mannes zurück. »Würden Sie bitte Mr
Ryerson mitteilen, dass Mr Victor Narraway bedauert, nicht selbst kommen zu können, und mich an seiner Stelle geschickt hat? Ich heiße Thomas Pitt.« Mit diesen Worten legte er eine Karte, auf der lediglich sein Name stand, auf das Silbertablett in der Hand des Lakaien.
    »Gewiss, Sir«, sagte der Mann, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Ich werde Mr Ryerson fragen, ob er bereit ist, mit Ihnen zu sprechen. Wenn Sie bis dahin im Empfangszimmer warten wollen?«
    Pitt lächelte über diese unverblümte Formulierung, die von der bei Dienstboten sonst üblichen Behauptung abwich, sie müssten nachsehen, ob die Herrschaft zu Hause sei.
    Der Mann führte ihn durch ein prächtiges Vestibül, dessen terrakottafarbene Wände im italienischen Stil geschmückt waren. Man sah ausgesucht schöne Marmor- und Bronzebüsten auf Sockeln, und an den Wänden hingen Gemälde mit Szenen der Kanäle Venedigs, von denen eins sogar von der Hand Canalettos stammen mochte.
    Auch das Empfangszimmer war in warmen Farbtönen gehalten. Ein exquisiter Gobelin an einer der Wände zeigte eine Jagdszene bis in die feinsten Einzelheiten. Das Gras im Vordergrund war mit einer Vielzahl winziger Blumen übersät. Ganz offensichtlich war es das Haus eines wohlhabenden Mannes, der einen erlesenen Geschmack besaß.
    Während der zehn Minuten, die er warten musste, malte sich Pitt immer wieder unruhig die Begegnung mit dem mächtigen Mann aus. Immerhin sollte er ihn über einen Teil seines Privatlebens befragen, in dem er sich möglicherweise an einem Verbrechen beteiligt hatte. Kabinettsmitglied hin oder her – Pitt war gekommen, um die Wahrheit zu erfahren, und er konnte sich ein Scheitern nicht leisten. Schließlich hatte er auch schon früher bedeutende Menschen nach den näheren Umständen ihres Lebens befragt, vorsichtig sondiert, welche schwachen Punkte sie zu einem Mord getrieben haben mochten. Es war seine besondere Gabe, das mit großem Geschick zu tun, und er hatte dabei weit mehr Erfolge errungen
als Niederlagen erlitten. Es gab keinen Grund, jetzt an sich zu zweifeln.
    Er warf einen Blick auf die Bücher in einem der Schränke. Shakespeare, Browning, Marlowe, aber auch Henry Rider Haggard, Charles Kingsley und zwei Bände William M. Thackeray.
    Dann öffnete sich eine Tür hinter ihm, und er drehte sich um.
    Ryerson sah genauso aus, wie ihn Narraway beschrieben hatte. Er war hoch gewachsen und breitschultrig, hatte markante Züge, dichtes graues Haar, strahlte die angeborene Zuversicht eines Menschen aus, dem sein Körper in jeder Hinsicht gehorcht, und bewegte sich mit einer Geschmeidigkeit, die darauf schließen ließ, dass er regelmäßig Sport trieb und sich dabei wohlfühlte. Er mochte Ende fünfzig sein und wirkte in keiner Weise verfettet. Offenbar war er nicht der Typ, der sich einem Leben voller Genüsse hingab. Jetzt schien er zwar unruhig, vielleicht ein wenig müde, doch erweckte er in keiner Weise den Eindruck, nicht Herr seiner Empfindungen zu sein.
    »Mein Lakai hat gesagt, dass Sie in Victor Narraways Auftrag kommen.« Er sprach den Namen mit solcher Teilnahmslosigkeit aus,

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