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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Zusammentreffen mit ihm gemacht hatte, und so sah er sich genötigt, von vorn zu beginnen und sich durch seine widerstreitenden Empfindungen voranzutasten.
    »Und dann sind Sie durch die Spülküche ins Haus gegangen?«, fuhr er fort.
    »Ja.« Die Erinnerung verdüsterte Ryersons Augen. »Ich stand gerade in der Küche, als ich im Garten ein Geräusch hörte, und bin deshalb wieder hinausgegangen. Fast im selben Augenblick bin ich auf Miss Sachari gestoßen, die völlig aufgelöst war.« Er atmete langsam ein und aus. »Sie sagte mir, ein Mann sei erschossen worden
und liege im Garten. Ich fragte sie, ob sie wisse, um wen es sich handele, und ob ihr die näheren Umstände bekannt seien. Sie sagte, es sei Leutnant Lovat, den sie vor einigen Jahren in Alexandria flüchtig gekannt habe. Damals hatte er vermutlich zu ihren Bewunderern gehört ...« Er zögerte kurz, überlegte wohl, ob er das richtige Wort gewählt hatte. Dann aber fuhr er fort, vermutlich in der Annahme, dass sich Pitt sein Teil denken würde: »Er wollte die Freundschaft wieder aufleben lassen, wozu sie aber nicht bereit war. Mit dieser Antwort hatte er sich nicht zufrieden gegeben.«
    »Ich verstehe. Was haben Sie als Nächstes getan?«, erkundigte sich Pitt mit neutraler Stimme.
    »Ich habe sie gebeten, mich an die Stelle zu führen, und bin ihr dorthin gefolgt, wo der Mann halb unter den Lorbeerbüschen am Boden lag. Ich hatte angenommen, er sei vielleicht noch am Leben, gehofft, sie habe einen übereilten Schluss gezogen und er sei lediglich bewusstlos gewesen, als sie ihn fand. Doch gleich, als ich mich neben ihm niederkniete, um ihn mir näher anzusehen, zeigte sich, dass sie Recht hatte. Der Schuss war aus ziemlich geringer Entfernung abgefeuert worden und durch die Brust gegangen. Der Mann war ohne jeden Zweifel tot.«
    »Haben Sie die Waffe gesehen?«
    Es schien Ryerson große Anstrengung zu kosten, Pitt weiterhin in die Augen zu sehen.
    »Ja. Die Pistole lag am Boden neben ihm. Es war ihre eigene. Das ist mir sofort aufgefallen, weil ich sie schon früher gesehen hatte. Ich wusste, dass sie zu ihrem Schutz eine solche Waffe besaß.«
    »Zum Schutz gegen wen?«
    »Das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich hatte sie gefragt, aber sie war nicht bereit, es mir zu sagen.«
    »Ist es denkbar, dass es dieser Leutnant Lovat war? Hatte er sie bedroht?«
    Ryersons Gesicht wirkte angespannt und sein Blick gequält. Er zögerte, sagte aber schließlich: »Ich glaube nicht.«
    »Haben Sie sie gefragt, was geschehen war?«
    »Natürlich! Sie hat mir erklärt, sie wisse es nicht. Sie habe den Schuss oben vom Salon aus gehört, wo sie auf mich wartete, und gemerkt, dass er ganz in der Nähe gefallen sein musste. Da sie vollständig angekleidet war, sei sie nach unten gegangen, um nachzusehen, was geschehen war und ob womöglich jemand verletzt sei. Dabei habe sie Lovat im Garten am Boden liegend gefunden, die Waffe neben sich.«
    Eigentlich erschien Pitt diese ganze sonderbare Geschichte unfasslich. Doch als er den Mann ansah, war er sicher, dass dieser sie glaubte – oder er war der glänzendste Schauspieler, mit dem er je zu tun gehabt hatte. Ryerson hatte seinen Bericht ruhig, geordnet, ohne jede Übertreibung und mit einer Offenheit vorgetragen, die für den Fall, dass er sie vorspiegelte, geradezu genial war. Pitt war verwirrt und fühlte sich unsicher. Er wusste nicht, was er von all dem halten sollte.
    »Sie haben also den Toten gesehen«, sagte er, »und Miss Sachari hat Ihnen gesagt, wer er war. Wusste sie, was er dort wollte oder wer ihn erschossen hatte?«
    »Nein«, gab Ryerson ohne zu zögern Auskunft. »Sie hatte vermutet, dass er gekommen war, um mit ihr zu sprechen. Eine andere Erklärung konnte es für seine Anwesenheit um diese Stunde gar nicht geben. Meine Frage, ob sie wisse, was im Einzelnen geschehen war, hat sie verneint.« Er sagte das mit einer Endgültigkeit und einer Überzeugung, für die sich Pitt keinen Grund denken konnte.
    »Sie hatte ihn also nicht gebeten zu kommen oder ihm Grund zu der Annahme gegeben, dass er willkommen sei?«, fasste Pitt nach, nicht ganz sicher, welcher Ton dieser absurden Situation angemessen war. Es ärgerte ihn, vor dem Mann Kratzfüße machen zu müssen, aber er neigte dazu, ihm zu glauben, und empfand sogar ein gewisses Mitgefühl.
    Ryerson presste die Lippen zusammen. »Die Dame ist außergewöhnlich klug, Mr Pitt. Dazu passt die Annahme, sie habe ihn aufgefordert, gerade dann zu kommen, wenn sie

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