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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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die Zeitung irgendwo in Ruhe lesen, wo ihn niemand dabei beobachten konnte. Überrascht merkte er, dass er keinem Menschen seine Empfindungen zeigen wollte, damit niemand sah, wie nah ihm diese Sache ging.
    Er nahm einen Pferdeomnibus und stieg in der Nähe eines der zahlreichen begrünten kleinen Plätze aus. Er setzte sich auf eine leere Bank und schlug die Zeitung auf. Es war genauso, wie man es sich hätte denken können: Ein Abgeordneter der Oppositionspartei hatte im Unterhaus die Frage gestellt, warum man Miss Sachari wegen der Ermordung Lovats, eines ehrenwerten Offiziers ohne jeden Makel, inhaftiert hatte, während die Polizei Ryerson, für dessen Anwesenheit in ihrem Haus um drei Uhr nachts niemand eine Erklärung wusste – und wofür es wohl auch keine gab, die sich mit den Vorstellungen der Gesellschaft von Sitte und Anstand vereinbaren ließe –, in diesem Zusammenhang nicht einmal vernommen hatte. Dann hatte er den Premierminister »im Namen der Gerechtigkeit« aufgefordert, dem Parlament und der Öffentlichkeit eine Begründung dafür zu nennen und zugleich zu erklären, wie lange dieser Zustand noch andauern sollte.
    Am Spätnachmittag hatte sich die Regierung gezwungen gesehen, dem Druck nachzugeben. Als die hereinbrechende Abenddämmerung den Horizont noch kaum verdunkelte und das Sonnenlicht noch auf den Blättern der Bäume tanzte, teilte der Innenminister dem Unterhaus mit, Mr Ryerson werde selbstverständlich alle Fragen der Polizei vollständig und in zufrieden stellender Weise beantworten.
    Nur wenig später – die ersten Laternenanzünder machten sich gerade daran, ihre Runde zu gehen – befand sich Mr Ryerson in Haft.
    Pitt kehrte in Narraways Büro zurück, ohne dass dieser nach ihm geschickt hatte. Er hatte keine weiteren Erkenntnisse von irgendwelchem Wert und war kaum bereit, das wenige zu berichten, was er wusste. Bis auf ein rundes halbes Dutzend, über die er noch nichts in Erfahrung gebracht hatte, waren die Männer, deren Namen im Besucherbuch standen, frei von jedem Verdacht einer Beteiligung an der Tat.
    Er stand vor Narraways Tisch und wartete darauf, dass dieser etwas sagte.
    »Ja ... ich weiß«, begann Narraway mit angespannten Kiefermuskeln, den Blick auf die polierte Tischplatte gerichtet, auf der sich Papiere türmten, die mit der beschriebenen Seite nach unten lagen. »Ich glaube nicht, dass er der Polizei etwas sagen wird, was er Ihnen nicht bereits gesagt hat.«
    »Er kennt mich nicht«, erwiderte Pitt. Dabei hatte er den unerklärlichen Eindruck, seinerseits Ryerson durchaus zu kennen. Er konnte sich genau an dessen Gesicht erinnern, an jede Linie, jeden Schatten, an die Eindringlichkeit seiner Stimme und die Gefühle, die darin mitgeschwungen hatten, an sein eigenes Gefühl der Anteilnahme, als der Mann seine Handlungsweise zu erklären versucht und ihm mitgeteilt hatte, was er tun würde, falls man die Ägypterin vor Gericht stellte. »Er hatte keinen Grund, mir mehr zu vertrauen, als die Situation verlangte«, fuhr er fort. »Ihnen würde er vielleicht mehr sagen.« Er fügte nicht hinzu, dass die beiden denselben kulturellen Hintergrund hatten, derselben gesellschaftlichen Schicht angehörten und die Dinge in ähnlicher Weise sahen – das verstand sich von selbst.
    Ohne darauf einzugehen, öffnete Narraway die Schublade seines Schreibtischs und nahm eine kleine Metallkassette heraus. Einen Schlüssel schien es nicht zu geben; er klappte einfach den Deckel hoch und entnahm ihr eine Hand voll Schatzwechsel, die bestimmt mindestens hundert Pfund wert waren. »Überlassen Sie mir Ihre Notizen. Ich werde mich um die Spuren hier in London kümmern«, sagte er, nach wie vor ohne Pitt anzusehen. »Sie fahren nach Alexandria, um so viel wie möglich über die Frau in Erfahrung zu bringen, aber auch über Lovat. Schließlich hat er sich jahrelang da unten aufgehalten ...«
    Verblüfft sog Pitt den Atem ein. Es dauerte einen Augenblick, bis er sprechen konnte.
    Narraway hatte allem Anschein nach den Betrag vorher abgezählt, denn er legte die Wechsel einfach auf den Tisch.
    »Aber ich weiß doch nichts über Ägypten!«, begehrte Pitt auf. »Ich kann die Sprache nicht, die man da spricht! Ich...«
    »Sie werden mit Englisch bestens zurechtkommen«, schnitt ihm Narraway das Wort ab. »Ich habe keinen Spezialisten für Ägypten. Sie sind ein guter Ermittler. Versuchen Sie, möglichst viel darüber herauszufinden, was Lovat dort getrieben hat. Vor allem aber bringen

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