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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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weniger Fehler machte, die einen verraten konnten. Auf der zweistündigen Bahnfahrt von London nach Southampton hatte sich Pitt den Kopf über eine passende Geschichte zerbrochen, für die er keine speziellen Kenntnisse auf Gebieten brauchte, von denen er nichts verstand. Auf keinen Fall hätte er als Geschäftsmann auf welchem Gebiet auch immer auftreten können, denn schon nach fünf Minuten würde jeder merken, dass er vom Handel nichts verstand. Aus demselben Grund war es auch unmöglich, sich als Gelehrter auszugeben, schon gar nicht als Fachmann auf dem Gebiet der Geschichte oder Altertümer Ägyptens, für die sich gegenwärtig alle Welt immer mehr begeisterte. Schon die erste Frage würde seine Unwissenheit offenbar werden lassen.
    Wer aber reist allein in ein fremdes Land, über das er nicht nur nichts weiß, sondern wo er auch weder Bekannte noch Verwandte hat? Auf keinen Fall ein verheirateter Mann. Pitt hatte beschlossen, so wenig wie möglich von der Wahrheit abzuweichen. Das schien ihm einerseits sicherer und praktischer, zum anderen steigerte es
seine Glaubwürdigkeit. Wenn er aber nicht angab, zum Vergnügen zu reisen, musste er irgendeinen anderen nachvollziehbaren Grund nennen können.
    Also erfand er einen Bruder, der geschäftlich in Ägypten zu tun hatte und von dem die Familie seit über zwei Monaten ohne Nachrichten war. Das lieferte ihm nicht nur einen plausiblen Grund, sondern rechtfertigte zugleich, dass er Fragen stellte, und erklärte seine Unwissenheit auf nahezu allen Gebieten, die mit Ägypten zu tun hatten. Er hatte den Eindruck, dass er bisher alle Fragen zu jedermanns Zufriedenheit beantwortet hatte. Sein Kabinennachbar hatte lediglich angemerkt, wenn sein Bruder mit Baumwolle handele, gehe er dem sicheren Ruin entgegen und Pitt tue gut daran, in verschwiegenen Gässchen oder gar im Nil nach seinen Überresten Ausschau zu halten. Er hatte nichts darauf gesagt.
    Jetzt hielt er den Blick auf das blaue Wasser des Mittelmeers gerichtet und spürte die Wärme der Brise auf der Haut. Er freute sich auf all das Neue, das ihm ein Ort bieten würde, der völlig anders war als alles, was er sich je vorgestellt, geschweige denn gesehen hatte.
    Nach der Landung am späten Nachmittag holte er, sobald die mit der Einreise verbundenen Formalitäten erledigt waren, sogleich sein Gepäck. Dann stand er, den Koffer in der Hand, inmitten der sich drängenden Menge am Anleger. In dem Stimmengewirr ertönte ein Dutzend verschiedene Sprachen, von denen er keine einzige verstand. Dennoch kam es ihm vor, als hätten Hafenanlagen auf der ganzen Welt etwas gemeinsam. Allerdings trug der Wind in London empfindliche Kälte vom Wasser herüber, während ihn hier die Hitze erdrückend einhüllte wie ein feuchtes Tuch. Manche Gerüche – Teer, Salz, Fisch – erkannte er sogleich, andere waren ihm unvertraut: Gewürze, Staub und noch etwas anderes, das warm und süßlich roch.
    Ein Teil der Männer, die dort arbeiteten, war bis zur Hüfte nackt. Andere trugen lange Gewänder und Turbane, sprachen miteinander, nahmen hier eine Kiste und dort einen Ballen näher in Augenschein.
    Der Kapitän hatte Pitt einen Teil seines Geldes in Piaster gewechselt. Vermutlich hatte er ihm einen sehr ungünstigen Kurs berechnet, doch war ihm die damit verbundene Bequemlichkeit das wert.
    Jetzt musste er unbedingt eine Unterkunft finden, bevor es dunkel wurde, und so machte er sich daran, der geschäftigen Straße am Hafen entgegenzugehen. Ob er jemanden traf, der Englisch zumindest verstand, wenn er es vielleicht auch nicht sprach? Welche öffentlichen Verkehrsmittel mochte es geben?
    Er sah ein Pferd vor einem offenen Wagen neben dem Gehweg stehen und nahm an, es handele sich um die in Alexandria übliche Art von Droschke. Gerade wollte er hingehen und den Kutscher bitten, ihn zum britischen Konsulat zu fahren, als ein anderer westlich gekleideter Mann mit großen Schritten an ihm vorübereilte, hineinsprang, sich in den Sitz fallen ließ und dem Kutscher auf Englisch etwas zurief. Pitt beschloss, beim nächsten Mal etwas flinker zu sein.
    Erst nach zwanzig Minuten entdeckte er eine freie Droschke, und es kostete ihn fünf weitere, bis er den Kutscher so weit hatte, dass er ihn zu einem Preis, der ihm angemessen schien, zum englischen Konsulat brachte. Da er sich nicht auskannte, hätte er selbstverständlich nicht sagen können, ob der Mann auch wirklich dorthin fuhr – er hätte ihn ohne weiteres in der Wüste abladen

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