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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Er hatte eine kräftige Adlernase, und sein dunkles Haar war ein wenig übertrieben gewellt. Pitt vermutete, dass Trenchard einer von denen war, die ihren Posten nicht unbedingt deshalb bekleideten, weil sie über besondere Fähigkeiten verfügten, sondern weil es den Erwartungen ihrer Familie so am ehesten entsprach. Sicher hatte er geisteswissenschaftliche Studien getrieben und möglicherweise sogar ein wenig in Ägyptologie
dilettiert. Der Mann machte ihm ganz den Eindruck eines Menschen, dem seine Neigungen wichtiger sind als seine Arbeit.
    »Was können wir für Sie tun?«, fragte er. »Jackson hat gesagt, dass Sie zu mir wollten?« Hinter dieser scheinbaren Frage verbarg sich in Wahrheit die höfliche Aufforderung, sich näher zu erklären.
    »Mr Narraway hat mir gesagt, dass Sie mir vielleicht den einen oder anderen Rat erteilten könnten«, sagte Pitt.
    Verstehen leuchtete in Trenchards Augen auf. »Gewiss«, entgegnete er. »Nehmen Sie doch Platz. Sind Sie gerade erst angekommen?«
    »Mit dem Schiff, das vor einer Stunde angelegt hat«, bestätigte Pitt und setzte sich dankbar. Zwar hatte er keinen weiten Weg zurückgelegt, wohl aber ziemlich lange an Deck gestanden, weil er es vor Vorfreude unten in der Kabine nicht mehr ausgehalten hatte.
    »Haben Sie schon eine Unterkunft?«, erkundigte sich Trenchard mit einem Ausdruck, der zu verstehen gab, dass er das Gegenteil annahm. »Ich empfehle Ihnen das Casino San Stefano, ein sehr gutes Hotel. Es verfügt über hundert Zimmer, sodass es nicht schwer fallen dürfte, dort unterzukommen. Jedes kostet fünfundzwanzig Piaster pro Nacht. Übrigens isst man dort ausgezeichnet. Für den Fall, dass Sie sich nichts aus ägyptischer Küche machen, können Sie auch französisch essen. Am einfachsten kommen Sie über die Strada Rossa hin – mit der Droschke oder, falls es etwas anspruchsloser und nicht so teuer sein soll, mit der Straßenbahn. Sie ist ausgezeichnet und verkehrt vierundzwanzig Stunden am Tag. Zwei Linien fahren direkt bis zur Endhaltestelle San Stefano.«
    »Danke«, sagte Pitt aufrichtig. Es war ein guter Anfang, dennoch bedrückten ihn seine Unwissenheit und das Bewusstsein, sich in einer Stadt aufzuhalten, in der ihm sogar die Gerüche in der Luft unbekannt waren. Noch nie war er sich so hilflos oder allein vorgekommen. Alles, was ihm vertraut war, lag tausend Meilen entfernt.
    Erwartungsvoll sah ihn Trenchard an. Offensichtlich nahm er an, Pitt werde noch mehr berichten. Eine Hotelempfehlung hätte er schließlich von jedem Beliebigen bekommen können. So machte
sich Pitt daran, zumindest einen Teil dessen offen zu legen, was ihn nach Alexandria geführt hatte. Er begann mit dem, was jedenfalls in London alle Welt wusste, und teilte Trenchard die nackten Tatsachen des Mordes an Lovat und Ayesha Sacharis Verhaftung mit.
    Auf das Gesicht des Konsulatsbeamten trat lebhaftes Interesse. »Ayesha Sachari!«, wiederholte er den Namen mit sonderbarem Unterton.
    »Kennen Sie ihre Angehörigen?«, fragte Pitt rasch. Vielleicht erwies sich die Sache doch als einfach.
    »Das nicht – aber der Name weist daraufhin, dass es sich bei der Familie nicht um Moslems, sondern um Kopten handelt.« Als er sah, dass Pitt nicht verstand, fügte er hinzu: »Das sind ägyptische Christen.«
    Pitt war verblüfft. Er hatte nicht im Entferntesten an die Frage der Religion gedacht, jetzt aber ging ihm auf, dass sie von Bedeutung sein konnte.
    Den Mund zu einem leicht ironischen Lächeln verzogen, sprach Trenchard weiter und sah Pitt dabei unverwandt an: »Nach dem, was Sie sagen, dürfte es sich um eine bessere Prostituierte handeln, möglicherweise eine Art exklusive Kurtisane. Niemand hier im Lande würde mit einer Muslimin etwas zu tun haben wollen, die sich, wie diskret auch immer, mit andersgläubigen Männern einlässt. Als Christin hingegen kann sie den Anschein von Achtbarkeit wahren, vorausgesetzt, sie geht mit äußerster Zurückhaltung zu Werke.«
    »Von Kurtisane kann kaum die Rede sein!«, gab Pitt ziemlich patzig zurück. Als er den Spott in den Augen des anderen aufblitzen sah, ärgerte er sich sofort über seinen Mangel an professioneller Distanz.
    Trenchard ging nicht weiter darauf ein, doch seine herablassende Art war die eines Mannes von Welt, der es mit einem verblüffend einfältigen Menschen zu tun hat. Es überlief Pitt heiß vor Scham. Immerhin wusste er als erfahrener Polizeibeamter weit mehr von den finsteren Abgründen der Menschennatur als

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