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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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können. So sehr fesselte ihn das bunte Treiben in den schmalen, schattigen Gassen wie auch auf den im Sonnenschein liegenden breiten Durchgangsstraßen, dass er sich während der holprigen Fahrt fortwährend neugierig umsah.
    Die vorherrschenden Farben waren warme Erd- und dunkle Terrakotta-Töne, in die sich das anders getönte Braun der hölzernen Erker und Fensterrahmen mischte. Von der Sonne ausgebleichte Markisen hingen regungslos. Überall sah und hörte man Hühner und Tauben. Esel schleppten schwere Lasten, und vereinzelt sah Pitt Kamele, die mit der Anmut sich gegen die Flut stemmender Schiffe schaukelnd vorüberzogen.
    Die Menschen trugen durchweg helle Gewänder. Die Männer hatten Turbane auf dem Kopf, die Frauen Tücher, mit denen sie
zugleich die untere Hälfte ihres Gesichts verdeckten. Hin und wieder sah er einen roten oder blaugrünen Farbklecks.
    Es schien von lästigen Insekten zu wimmeln. Immer wieder spürte Pitt, wie ihn Mücken stachen, doch war er nicht schnell genug, um sie zu treffen, wenn er nach ihnen schlug.
    Die Luft um ihn herum erfüllte der Duft von Gewürzen und heißen Speisen; er hörte Stimmen, Gelächter und von Zeit zu Zeit den sonderbar hohlen Klang metallener Glöckchen.
    Im selben Augenblick, in dem mit einem Schlag die Dunkelheit hereinbrach, wobei das leuchtende Blau des Himmels zu einem schimmernden Türkis wurde, stiegen Laute empor, die ihm einen Schauer über den Rücken jagten. Noch nie zuvor hatte er einen solchen Gesang gehört. Er schien aus großer Höhe herabzukommen, stieg zum Himmel und senkte sich zur Erde, durchdrang den Abend, bis ihn die Türme und Mauern aller Gebäude zurückwarfen.
    Niemand zeigte sich verwundert. Alle schienen ihn genau in dem Augenblick erwartet zu haben.
    Die Droschke hielt vor einem prachtvollen Gebäude an, auf dessen glatter Marmorfassade helle und dunkle Töne miteinander abwechselten, was sie lebhaft und gegliedert erscheinen ließ. Pitt dankte dem Kutscher und gab ihm den vereinbarten Betrag. Als er den Fuß auf den kochend heißen Gehweg setzte, hüllte ihn die Luft um ihn herum mit einer solchen Hitze ein, dass es ihm vorkam, als befände er sich in einem Raum, dessen Fenster zur Sonne ging. Dabei wurde es so rasch dunkel, dass er in der Schwärze der Schatten kaum noch über die Straße sehen konnte. Eine Dämmerung hatte es nicht gegeben – die Sonne war einfach verschwunden, und an ihre Stelle war die Nacht getreten. Schon füllten sich die Gehwege mit lachenden und plaudernden Menschen.
    Da er noch nicht wusste, wo er die Nacht verbringen sollte, war es erst einmal wichtiger, eine Unterkunft zu finden, als die Atmosphäre der Stadt zu genießen. Er ging die Stufen empor und trat in das Gebäude. Ein in eine erdfarbene Dschellaba gekleideter junger
Ägypter erkundigte sich in makellosem Englisch nach seinen Wünschen. Pitt erklärte, dass er einen Rat brauche, und nannte den Namen Trenchards, an den ihn Narraway verwiesen hatte.
    Fünf Minuten später stand er in Trenchards Büro, einem Raum von verblüffend schlichter Schönheit, den Öllampen mit weichem, gedämpftem Licht erfüllten. An einer der Wände zeigte ein Gemälde von geradezu überirdischer Schönheit den Sonnenuntergang am Nil. Auf einem Tischchen stand neben einer Papyrusrolle und einem goldenen Schmuckstück, das aus dem Sarg eines Pharaos stammen mochte, eine kleine griechische Skulptur.
    »Sie gefällt Ihnen wohl?«, fragte Trenchard lächelnd, womit er Pitt schlagartig in die Gegenwart zurückholte.
    »Ja. Tut mir Leid«, sagte er entschuldigend. Er war wohl zu müde und von all den neuen Eindrücken zu sehr überwältigt, als dass er noch vernünftig hätte denken können.
    »Macht überhaupt nichts«, versicherte ihm Trenchard mit liebenswürdigem Lächeln und einer so wohltönenden Stimme, als läse er sich zum eigenen Vergnügen Gedichte vor. »Sie können Ägyptens Glanz und Geheimnis unmöglich mehr lieben als ich. Schon gar, wenn es um Alexandria geht! Hier stoßen die Enden der Welt zusammen und verschmelzen zu einer Lebenskraft, die Sie sonst nirgendwo finden werden. Rom, Griechenland, Byzanz und Ägypten!« Er sagte die Namen, als wohne ihnen ein beeindruckender Zauber inne.
    Er war von durchschnittlicher Größe, doch ließ ihn seine Schlankheit größer erscheinen. Mit ungewöhnlicher Anmut kam er um seinen Schreibtisch herum, um Pitt die Hand zu schütteln. Seinen Zügen nach hätte er aus einer römischen Patrizierfamilie stammen können.

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