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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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bekam er für fünfundzwanzig Piaster pro Nacht ein Zimmer. Von den angebotenen reichlichen und köstlichen Speisen im Restaurant nahm er nur frisches Brot und Obst und zog sich nach dem kargen Mahl auf sein Zimmer zurück. Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, zog er die Schuhe aus, trat ans Fenster und sah zum glänzend schwarzen Firmament voller schimmernder Sterne empor. Im Wind, der vom Meer herüberwehte, lagen Hitze und Salz. Er atmete tief ein und stieß die Luft in einem langen Seufzer wieder aus. Alexandria zu erleben war wunderschön, aufregend und erhebend. An sein Ohr drangen das Rauschen des Meeres, gelegentliches Lachen und ein unaufhörliches Hintergrundgeräusch, das wie das Zirpen von Grillen im Gras klang. Es erinnerte ihn an die Sommer seiner Kindheit auf dem Lande, doch war er zu müde, es auf sich wirken zu lassen. Wäre doch Charlotte da! Wie gern hätte er sie aufgefordert, auf die fernen Stimmen zu achten, die sich in den verschiedensten Sprachen unterhielten, auf das Gelächter und die fremdartigen Düfte der Nacht.
    Er wandte sich wieder dem unvertrauten Zimmer zu, zog sich aus und wusch sich den Reisestaub ab. Dann schlüpfte er unter das
weich fallende Moskitonetz, das er achtsam hinter sich schloss. Er schlief nahezu sogleich ein. Einmal erwachte er in der Dunkelheit und wusste einen Augenblick lang nicht, wo er war. Er vermisste das vertraute Wiegen des Schiffs, dessen Abwesenheit ihm einen sonderbaren Schwindel verursachte. Dann fiel ihm ein, wo er sich befand, er drehte sich um und versank wieder in den Tiefen des Schlafes. Er erwachte erst am späten Vormittag.
     
    Die beiden ersten Tage seines Aufenthalts nutzte er dazu, möglichst viel über die Stadt in Erfahrung zu bringen. Als Erstes kaufte er Kleidung, die sich für Nachttemperaturen von fünfundzwanzig und Tagestemperaturen um die dreißig Grad eignete. Rasch war er mit dem erstklassigen Netz aus frisch lackierten Straßenbahnen und in England gebauten Zügen vertraut, die ihm sogar im blendenden Licht der Sonne, gegen die er immer wieder die Augen zukneifen musste, anheimelnd erschienen. Mitunter zog er einfach durch die Straßen, um die Stimmen des sonderbaren Völkergemischs mit seiner Sprachenfülle in sich aufzunehmen und die Gesichter der Menschen zu beobachten. Neben Ägyptern fanden sich Griechen, Armenier, Juden, Levantiner, Araber, vereinzelt Franzosen und immer wieder Engländer. Er sah Soldaten in Tropenuniform und Zivilisten, die sich, wie es aussah, trotz der Hitze, des Lärms und des Feilschens auf den Märkten und des grellen Lichts beinahe wie zu Hause zu fühlen schienen. Außerdem gab es Touristen mit bleichen Gesichtern, die müde und zugleich erregt darauf brannten, alles zu sehen, was es zu sehen gab. Bevor sie an Bord eines der zahlreichen Dampfer gingen, die nilaufwärts nach Karnak und weiter fuhren, hörte er, wie sie sich darüber unterhielten, dass Kairo ihr nächstes Ziel war.
    Voll Begeisterung äußerte sich ein älterer Geistlicher, dessen weißer Schnurrbart scharf von seiner gebräunten Haut abstach, über seine jüngste Reise. Er beschrieb, wie er beim Frühstück über den zeitlosen Nil geblickt habe, als befinde er sich in der Ewigkeit; auf dem Tisch neben der aufgeschlagenen Egyptian Gazette habe frischer Toast mit original Dundee-Orangenmarmelade gestanden,
während sein Blick auf die aus dem Sandmeer am Horizont aufragenden Begräbnispyramiden der Pharaonen geschweift sei.
    »Einfach unübertrefflich«, sagte er mit einer Stimme, die in keinem Londoner Herrenklub fehl am Platz gewesen wäre.
    Das erinnerte Pitt schmerzlich an die Dringlichkeit seines Auftrags, und so begann er, sich nach der koptischen Familie Sachari zu erkundigen. Alles andere musste warten – die jahrtausendealte Geschichte der Pharaonen, die Jahrhunderte griechischer und römischer Herrschaft, Kleopatras Romanze mit Cäsar, die Herrschaft der Araber, Türken, Mamelucken, die Eroberung durch Napoleon, Admiral Nelson. Jetzt herrschten die Briten, ganz gleich, was der Sultan in Istanbul sagen mochte, und Schiffe der ganzen Welt fuhren durch den Suezkanal nach Indien und weiter gen Osten. Ägyptens Baumwollernte wurde nach England verkauft und dort in Webereien verarbeitet, die in Manchester, Brunley, Salford und Blackburn standen, Städten, über denen an einem sich früh verdunkelnden Winterhimmel dichter Rauch hing. Aus England kehrten die Fertigerzeugnisse nach Ägypten zurück, aber nur, um durch den

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