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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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darum zu bemühen.«
    »Wollte ihr Vater denn nicht, dass sie heiratete?« Es war Pitt klar, dass diese Frage ziemlich ungehörig war, doch er brauchte weit
mehr Informationen, als er bisher bekommen hatte. Wenn es keine Angehörigen mehr gab, musste er eben gute Bekannte fragen.
    Jakub erwiderte seinen Blick. »Möglich. Aber Ayesha hatte ihren eigenen Kopf, und ihr Vater liebte sie zu sehr, als dass er sie bedrängt hätte, wenn sie etwas nicht wollte.« Er löffelte weiter und fuhr dann fort: »Sie ist eine Frau, die sich über Konventionen hinwegsetzt, und dank ihrer finanziellen Mittel war sie nicht auf eine Eheschließung angewiesen.«
    »Und was ist mit Liebe?«, wagte Pitt zu fragen.
    Wieder machte Jakub die leichte Bewegung, die alles und nichts bedeuten konnte. »Ich glaube, sie hat viele Male geliebt, doch weiß ich nicht, wie tief die Gefühle dabei gegangen sind.«
    War das eine beschönigende Umschreibung? Pitt hatte den Eindruck, sich in einer Kultur zu verheddern, die sich in jeder Hinsicht von der seinen unterschied. Nach wie vor wusste er kaum, was für eine Frau Ayesha Sachari war. Mit Sicherheit wusste er lediglich, dass sie anders war als alle anderen, die er kannte. Hätte er doch Charlotte fragen können! Sie wäre vielleicht imstande gewesen, die Wirklichkeit hinter dem Vorhang aus Worten zu erkennen.
    »Was für Menschen hat sie geliebt?«, fragte er.
    Jakub aß seine Suppe auf, der Kellner trug die Teller ab und kehrte mit den Täubchen zurück.
    Den Blick auf einen Punkt weit in der Ferne gerichtet, sagte Jakub: »Ich selbst kenne nur einen von ihnen.« Dann sah er Pitt mit einem Mal an. »Welchen Sinn hätte es für Sie, wenn Sie etwas über Ramses Ghali wüssten? Er ist nicht in England und kann nichts mit Ayeshas gegenwärtigen Schwierigkeiten zu tun haben.«
    »Sind Sie da sicher?«
    Ohne das geringste Zögern antwortet Jakub: »Ganz und gar.«
    Pitt war nicht überzeugt. »Wer ist dieser Mann?«
    Jakubs Augen wirkten sanft, und sein Gesichtsausdruck war ein undurchdringliches Gemisch von Zorn und Kummer. »Er ist tot«, sagte er leise. »Schon seit über zehn Jahren.«
    »Oh ...« Wieder Tod. Hatte sie diesen Mann aufrichtig geliebt? Könnte in dieser Beziehung der Schlüssel zu ihrem gegenwärtigen
Verhalten liegen? Pitt klammerte sich an Strohhalme, da ihm nichts anderes übrig blieb. »Hätte sie ihn vielleicht geheiratet, wenn er nicht gestorben wäre?«
    Jakub lächelte. »Nein.« Wieder schien er seiner Sache völlig sicher zu sein.
    »Aber Sie haben doch gesagt, dass sie ihn geliebt hat...«
    Mit großer Geduld, wie bei einem Kind, das endlose und immer genauere Erklärungen braucht, sagte Jakub: »Sie haben einander wie Freunde geliebt, Mr Pitt. Ramses Ghali hat ebenso leidenschaftlich an Ägypten geglaubt wie sein Vater.« Ein Schatten legte sich auf sein Gesicht, und eine Empfindung wurde darauf sichtbar, die Pitt nicht deuten konnte. Er vermutete aber, dass darin etwas Finsteres lag, vielleicht eine Spur von Zorn.
    Es lag zehn Jahre zurück, dass die Engländer Alexandria beschossen hatten. Bestand da ein Zusammenhang? Oder ging die ganze Sache noch tiefer, bezog sie sich auf die Geschichte mit General Gordon und der Belagerung der weiter südlich im Sudan gelegenen Stadt Khartoum? Britische Streitkräfte hatten 1882 bei Tal-al-Kebir den Nationalistenführer Achmed Orabi Pascha besiegt, und der Mahdi hatte im Sudan sechstausend Ägypter abgeschlachtet. Ein Jahr später war eine noch größere ägyptische Armee auf ähnliche Weise vernichtet worden. Als 1884 das gleiche Schicksal ein weiteres Heer ereilt hatte, war der als ›China-Gordon‹ bekannte General Gordon auf der Bildfläche erschienen. Im Januar darauf war er umgekommen, und kein halbes Jahr später war auch der Mahdi tot. Es war aber nicht gelungen, Khartoum wieder einzunehmen.
    Mit einem Mal fühlte sich Pitt sehr weit von zu Hause fort. Trotz der europäischen Einrichtung des Restaurants und des italienischen Namens, den das Hotel trug, war ihm der uralte und gänzlich andere Hintergrund des Mannes, der ihm da gegenübersaß, schmerzlich bewusst. Die afrikanischen Düfte und die Hitze der Luft steigerten diesen Eindruck noch. Er musste sich zwingen, wieder klar zu denken.
    »Sie haben gesagt, dass auch Miss Sachari glühend an Ägypten geglaubt hat«, sagte er und machte sich über seine Taube her. Eher
nebenbei fiel ihm auf, dass er noch nie eine so gute gegessen hatte. »Gehört sie zu den Menschen, die nach

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