Die Frau aus Alexandria
ihren Grundsätzen handeln und andere zu einer Sache zu bekehren versuchen, für die sie sich einsetzen?«
Jakub lachte erstickt und hörte sogleich wieder auf. »Sollte sie sich so sehr verändert haben? Oder wissen Sie einfach nichts über sie, Mr Pitt?« Er kniff die Augen zusammen und erklärte, ohne auf seine Taube zu achten: »Ich habe die Zeitungen gelesen, und ich denke, dass die britische Regierung um jeden Preis versuchen wird, ihren Minister aus der Sache herauszuhalten, während man Ayesha hängen wird.« In seiner Stimme lag unendliche Bitterkeit, und sein olivfarbenes glattes Gesicht war so verzerrt, dass es fast hässlich wirkte. Wer wusste schon, wie viel Wut und Schmerz in ihm toben mochten? »Was ist das Ziel Ihrer Reise hierher? Suchen Sie einen Zeugen, der Ihnen sagt, dass sie eine gefährliche Fanatikerin ist, die jeden umbringt, der sich ihr in den Weg stellt? Dass dieser Leutnant Lovat möglicherweise etwas über sie wusste, was ihrem Luxusleben in England schaden konnte, und er gedroht hat, das publik zu machen?«
»Nein«, erwiderte Pitt sogleich. Er hoffte, dass es ihm durch den Nachdruck, mit dem er das sagte, gelang, glaubwürdig zu wirken.
Langsam stieß Jakub den Atem aus. Es schien, als sei er bereit zuzuhören, was Pitt zu sagen hatte.
»Nein«, wiederholte Pitt. »Ich möchte die Wahrheit wissen. Ich kann mir keinen Grund denken, warum sie ihn getötet haben sollte. Sie brauchte ihn lediglich nicht zu beachten, dann hätte er ablassen müssen, weil er sonst Gefahr gelaufen wäre, dass man ihn wegen Belästigung belangte. Das hätte für ihn unter Umständen unangenehm werden können.« Er sah den Unglauben auf Jakubs Gesicht. »Der Mann war Karrierediplomat«, erklärte er. »Wie weit würde er da wohl kommen, wenn er sich die Feindschaft eines Kabinettmitglieds vom Kaliber Saville Ryersons zugezogen hätte?«
»Würde dieser Ryerson seinen Einfluss nutzen, um sie zu retten?« , erkundigte sich Jakub unsicher.
»Unbedingt! Er hat ihr in der Angelegenheit Lovat bereits unter die Arme gegriffen, auf die Gefahr hin, dass man ihn ebenfalls vor Gericht stellt! Ein solcher Mann würde keinesfalls davor zurückschrecken, einen jungen Mann, dessen Aufmerksamkeiten unerwünscht sind, in die Schranken zu weisen. Ein einziges Wort zu Lovats Vorgesetzten im diplomatischen Dienst hätte genügt, und Lovat wäre erledigt gewesen.«
Jakub sah nach wie vor zweifelnd drein.
Im Restaurant um sie herum schwoll das Summen der Gespräche an und ab. Eine attraktive Blondine mit porzellanweißer Haut warf lachend den Kopf in den Nacken, wobei sich das Licht in ihren Haaren brach. Ihr Begleiter sah sie entzückt an. Pitt überlegte, ob zwischen den beiden eine Beziehung bestand, die sie in ihrer Heimat nicht einzugehen wagen würden. Nahm Jakub an, dass in der englischen Gesellschaft größere Freiheit herrschte als in seiner Heimat? Wie hätte Pitt ihm erklären können, dass es nicht an dem war?
Jakub sah auf seinen Teller. »Sie verstehen nicht«, sagte er leise. »Sie wissen wirklich nichts über sie.«
»Dann sagen Sie es mir!«, bat Pitt. Fast hätte er noch etwas hinzugefügt, schluckte es aber hinunter. Er sah, wie Jakub mit sich kämpfte. Dem Bewusstsein, dass er sich für die Gerechtigkeit einsetzen und dafür sorgen musste, dass die Wahrheit ans Licht kam, wo zur Zeit noch Unwissenheit herrschte, stand das tief empfundene Bedürfnis eines Menschen entgegen, die Leidenschaften oder Schmerzen eines anderen weder bloßzulegen noch zu verraten.
Abermals überlegte Pitt, was er sagen könnte, um ihn auf seine Seite zu ziehen, und abermals schwieg er.
Jakub schob den Teller zurück und griff nach seinem Glas. Er nippte daran, stellte es dann hin und sah Pitt an. »Ramses’ Vater gehörte zu den Anführern derer, die sich für ein unabhängiges Ägypten einsetzten, als der Schuldenberg unter dem Khediven Ismail ins Unermessliche wuchs. Dann haben die Briten Ismail abgesetzt, das Amt seinem Sohn übergeben und die Verwaltung der gesamten Wirtschaftsangelegenheiten des Landes selbst in die
Hand genommen. Ramses war ein brillanter Kopf, ein Gelehrter und ein Philosoph. Er sprach Griechisch und Türkisch ebenso fließend wie Arabisch und verfasste in allen drei Sprachen Gedichte. Er war mit unserer Kultur und Geschichte seit der Zeit der Pharaonen vertraut, in der die Pyramiden von Giseh entstanden sind, durch alle Dynastien bis hin zu Kleopatra, der griechisch-römischen Epoche, dem Vordringen
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