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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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eine Frau zu heiraten, die nicht seiner Gesellschaftsschicht angehörte.«
    »Wissen Sie etwas über ihn?«
    »Nein. Aber vielleicht können Sie von den britischen Soldaten etwas erfahren. Es sind genug davon im Lande.«
    Pitt, dem die Anwesenheit der Briten in Ägypten schmerzlich bewusst war, sagte nichts darauf. Neben der ungeheuren Zahl von Soldaten gab es noch die Zivilisten in der Verwaltung. Obwohl das Land keine Kolonie war, erweckte vieles im Alltagsleben den Anschein, als sei es eine. Sofern es Miss Sacharis Wunsch gewesen war, ihr Land von der Fremdherrschaft zu befreien, konnte er das sehr gut verstehen.
    War sie deshalb nach London gegangen? War es nicht ihre Absicht gewesen, dort ihre eigene Zukunft zu suchen, sondern ihrem Volk zu helfen? In dem Fall hatte sie vermutlich Ryerson bewusst als jemanden ausgewählt, der die Macht hätte, ihr zu helfen, sofern sie ihn dazu bringen konnte.
    Aber wie hätte das in der Praxis aussehen sollen? Ganz gleich, was Ryerson für sie empfinden mochte, er würde kaum ihr zuliebe die Ziele der englischen Regierung revidieren. Und so, wie Jakub ihr Wesen geschildert hatte, würde sie ihn für ein solches Verhalten verachtet haben.
    Sofern sie ihn aber nicht wahrhaft liebte, dürfte das für sie unerheblich sein. Hatte sie sich womöglich wider Erwarten in ihn verliebt,
und ging es mit einem Mal nicht mehr nur noch um das, was sie sich zur Rettung des Vaterlandes vorgenommen hatte?
    Oder hatte sie ihn erpressen wollen, und der Mord an Lovat gehörte zu diesem Plan, der auf irgendeine noch nicht aufgeklärte Weise fehlgeschlagen war, mit dem Ergebnis, dass sie sich mit einem Mal im Gefängnis befand und vermutlich inzwischen schon unter Anklage gestellt war? Wie hatte ihr Plan ausgesehen? Hatte sie Druck auf Ryerson ausüben wollen, um ein größeres Maß an Selbstbestimmung für Ägypten zu erreichen? Oder hatte sie Ryerson mit voller Absicht in diese Situation getrieben, damit ein willfährigerer Minister an seine Stelle trat – einer, der bereit war, den von den Ägyptern gewünschten Preis zu zahlen?
    Doch all das ergab keinen rechten Sinn. Kein Handelsminister hätte sich dazu bereit gefunden, zuzulassen, dass die Ägypter die Baumwolle für sich behielten, wenn ihn nicht Umstände dazu zwangen, die weit mächtiger waren als Liebe oder die Aussicht, zugrunde gerichtet zu werden. Jedem musste klar sein, dass man einen solchen Mann einfach im Laufe der Zeit durch einen anderen ersetzen würde, der charakterfester und weniger angreifbar war.
    Pitt leerte sein Weinglas und dankte Jakub. Weitere Fragen fielen ihm nicht ein, und so unterhielten sie sich inmitten des Stimmengewirrs und Gelächters erneut über die reiche und verwickelte Geschichte der Stadt Alexandria.
     
    Am nächsten Morgen brachte ein Bote Pitt eine Mitteilung Trenchards an den Frühstückstisch, in der sich dieser erkundigte, ob alles in Ordnung sei und er weitere Unterstützung brauche. Sofern er Lust habe, hieß es weiter, mit ihm zu Mittag zu essen, werde er ihm anschließend gern einige der weniger bekannten Sehenswürdigkeiten Alexandrias zeigen.
    Pitt ließ sich Schreibzeug bringen, da ihm die Möglichkeit, mit Trenchard zu sprechen, gelegen kam. Als der Bote mit der Antwort gegangen war, wandte er sich wieder dem herrlichen frischen Brot, Obst und Fisch zu. Er gewöhnte sich sehr rasch an die exotische Nahrung und genoss sie geradezu.
    Einen Teil des Vormittags verbrachte er in einer englischen Bibliothek, um nachzulesen, was sich dort über den Aufstand Orabi Paschas fand. Zugleich bemühte er sich festzustellen, ob es Hinweise auf Männer namens Ghali gab, die in der Politik der damaligen Zeit eine Rolle gespielt hatten. So sehr fesselten ihn die Verwicklungen aus Leidenschaft und durch Verrat, dass er zum Mittagessen mit Trenchard fast zu spät gekommen wäre.
    Ohne es zu kommentieren, dass sein Gast erst kurz nach zwölf eingetroffen war, erhob sich Trenchard mit einem Lächeln und bat ihn herein.
    »Wirklich schön, dass Sie kommen konnten«, sagte er mit aufrichtig klingender Stimme. Aufmerksam musterte er Pitts helle Baumwollhose und das leichte Hemd, von dem das bereits recht kräftige Braun auf Gesicht und Armen deutlich abstach. »Sieht ganz so aus, als ob Sie sich schon eingelebt hätten – abgesehen von ein paar Mückenstichen«, merkte er an.
    »Stimmt«, antwortete Pitt. »Man könnte ein ganzes Jahr damit zubringen, diese Stadt zu erkunden, ohne dabei mehr als die Oberfläche

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