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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Suezkanal ostwärts weitertransportiert zu werden.
    Auf den heißen Straßen voller Unrat und Fliegen sah Pitt viel Armut, Hunger und Krankheiten. Bettler saßen vor Mauern, die in der Sonnenhitze förmlich glühten, zogen mit dem kargen Schatten weiter, den sie warfen, und baten in Allahs Namen um milde Gaben. Während die einen noch ihre gesunden Glieder zu haben schienen, waren andere mit Wunden bedeckt, wenn sie nicht sogar verkrüppelt, blind oder verstümmelt waren. Pockennarben oder Lepra entstellten viele Gesichter, und bei so manchem hätte Pitt am liebsten beiseite gesehen.
    Mehrfach wurde er angespien, und einmal traf ihn ein von hinten geschleuderter Stein am Ellbogen. Er sah aber niemanden, als er sich rasch umwandte.
    Auch in England gab es Armut, dort jedoch war es kalt und nass, die Rinnsteine liefen über, und die Menschen litten an Krankheiten einer anderen Klimazone, dem abgehackten Husten
der Tuberkulose. Hier wie dort erlagen sie der Cholera und dem Typhus. Es schien ihm unmöglich, eins gegen das andere abzuwägen.
    Er ging zurück zu dem großen Vorort, in dem die Kopten wohnten. Dort setzte er sich in ein kleines Kaffeehaus und begann Fragen zu stellen. Der Kaffee war so dick und süß, dass er ihn nicht herunterbrachte. Der Vorwand, dessen er sich bediente, um seine Fragen zu rechtfertigen, war nahe der Wahrheit: Eine Ägypterin namens Ayesha Sachari sei in London in Schwierigkeiten geraten, und er sei auf der Suche nach Angehörigen, Freunden oder Bekannten, die ihr gegebenenfalls helfen könnten. Zumindest müsse man, erklärte er, diese Menschen von der schwierigen Situation in Kenntnis setzen, in der sie sich befand.
    Es kostete ihn beinahe zwei weitere Tage, bis sich aus Gerüchten und Vermutungen etwas herausschälte. Nach längerem Hin und Her hieß es, ein Mann, dessen Schwester mit Ayesha Sachari befreundet gewesen war, sei bereit, mit ihm zusammenzutreffen. Pitt schlug das Restaurant des Hotels San Stefano vor.
    Während er wartend dasaß, mischte sich der angenehme Speisengeruch mit den Düften, die eine Brise durch die offenen Türen vom Meer herüberwehte. Nach einer Weile blieb ein Ägypter von etwa fünfunddreißig Jahren am Eingang stehen und sah sich suchend um. Seine traditionelle Dschellaba, die in warmen Erdtönen gehalten war, war unübersehbar aus erlesenem Material gearbeitet. Nachdem er Pitt, den man ihm beschrieben hatte, unter den anderen Europäern erkannt zu haben glaubte, trat er zwischen den Tischen auf ihn zu und stellte sich mit einer Verbeugung förmlich vor. »Guten Abend, Effendi. Ich heiße Makarios Jakub. Sie sind Mr Pitt, nehme ich an. Ja?«
    Pitt erhob sich und neigte den Kopf ein wenig. »Guten Abend, Mr Jakub. Ja, ich bin Thomas Pitt. Danke, dass Sie gekommen sind.« Er wies mit einer einladenden Handbewegung auf einen der anderen Stühle. »Darf ich Sie zum Abendessen einladen? Man isst hier hervorragend. Ich nehme an, dass Sie das bereits wissen.«
    »Werden Sie selbst auch essen?«, fragte der Besucher und nahm Platz.
    Schon in den wenigen Tagen seines Aufenthalts hatte Pitt gelernt, dass es landesüblich war, nur auf Umwegen auf Dinge zu sprechen zu kommen, die einem wichtig waren. Drängen oder offenbare Eile trug einem nichts als Verachtung ein. »Gewiss. Dabei wäre mir Ihre Gesellschaft angenehm«, gab er zur Antwort.
    »Dann gern«, nickte Jakub. »Es ist sehr freundlich von Ihnen.«
    Pitt plauderte ein wenig über sein Interesse an Alexandria, äußerte sich über die Schönheit dessen, was er gesehen hatte. Vor allem der Damm zwischen dem alten Leuchtturm und der Stadt hatte es ihm angetan.
    »Es kam mir vor, als ob ich, wenn ich die Augen zumachte und plötzlich wieder öffnete, den Koloss von Pharos sehen würde, den Leuchtturm, der zu den Sieben Weltwundern der Antike gehörte«, sagte er.
    Zwar war es ihm gleich darauf peinlich, eine solche fantastische Vorstellung geäußert zu haben, doch merkte er, dass ihn sein Gast verstand. Nicht nur entspannte sich Jakub ein wenig, auf seine Züge trat auch ein wohlwollender Ausdruck. Er hörte es offenbar gern, wenn jemand seine Stadt pries.
    »Der von Dinokrates unter Alexander dem Großen errichtete Damm trägt den Namen Heptastadion«, erklärte er. »Im Mittelalter lag östlich davon der alte Hafen. Es gibt aber noch vieles andere, was Sie sehen müssen. Da Sie sich für die Vergangenheit unseres Landes zu interessieren scheinen, empfehle ich Ihnen Alexanders Grab. Manche behaupten, dass es

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