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Die Frau aus Alexandria

Die Frau aus Alexandria

Titel: Die Frau aus Alexandria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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noch nicht lange her, dass sich Pitt und sie darum gesorgt hatten, woher sie das Geld für Lebensmittel und Brennmaterial nehmen sollten.
    Sie nahm ihr pflaumenfarbenes Vormittagskleid aus dem Schrank und zog es an, zufrieden, dass es wenigstens nirgends zwickte oder spannte. Einen dazu passenden Hut zu finden war weniger einfach, und schließlich entschied sie sich für einen schwarzen mit rosaroter Garnitur. So richtig zufrieden war sie damit nicht, aber
sie konnte einen solchen Besuch unmöglich ohne Kopfbedeckung machen. Noch wichtiger als ihre eigenen Empfindungen war, dass sie auf keinen Fall Tante Vespasia in Verlegenheit bringen wollte. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass jemand bei ihr war. Niemand ist auf das Auftauchen mittelloser ferner Verwandter erpicht, zumal dann nicht, wenn sie zu allem Überfluss bei ihrer Kleidung jeden Geschmack vermissen lassen.
    Gracie verabschiedete sie begeistert und gab ihr in letzter Minute noch einige Ratschläge und Hinweise mit auf den Weg. Wenn sie es sich vorher überlegt hätte, wäre sie wohl nicht so naseweis gewesen, aber ihr Eifer ließ ihr Gefühl für das, was sich gehörte, in den Hintergrund treten.
    »Wir müss’n unbedingt wiss’n, was mit den Leut’n da los is«, sagte sie stirnrunzelnd. »Bestimmt ha’m se dem was getan. Wir müss’n rauskrieg’n, was se gemacht ha’m und warum.«
    »Ich werde Tante Vespasia die Lage schildern, wie sie ist«, sagte Charlotte, während sie, auf den Stufen vor der Haustür stehend, zum Himmel emporsah. Es war ein schöner Vormittag, sonnig, aber ziemlich frisch.
    »Regnet bestimmt nicht«, sagte Gracie mit Nachdruck.
    »Sieht ganz so aus«, bestätigte Charlotte. »Mir ist nur gerade durch den Kopf gegangen, dass an einem solchen Tag vermutlich alle Welt Besuche macht. Ich werde von Glück sagen können, wenn ich sie allein antreffe. Bei dem, was ich ihr zu sagen habe, möchte ich wirklich nicht unterbrochen werden.«
    Sie machte sich entschlossen auf den Weg und hielt Ausschau nach einer Droschke. Zwar war die Fahrt mit dem Pferdeomnibus billiger, aber das Umsteigen würde sie viel Zeit kosten, und außerdem würde sie in gewisser Entfernung von Tante Vespasias Haus aussteigen müssen, denn für Besucher von Lady Cumming-Gould schickte es sich einfach nicht, sozusagen mit dem Pferdeomnibus vorzufahren.
    Als sie dort ankam, erfuhr sie von der Zofe, die sie gut kannte, dass die Gnädige angesichts des schönen Wetters beschlossen hatte, auszufahren und ein wenig im Park spazieren zu gehen.
    Überrascht merkte Charlotte, wie enttäuscht sie war. Zwar gab es in London eine große Zahl von Parks, doch wenn Angehörige der Oberschicht ›der Park‹ sagten, war damit immer der Hyde Park gemeint. So blieb ihr nichts anderes übrig, als erneut eine Droschke zu nehmen und hinzufahren.
    Während der Saison hätte sie damit rechnen müssen, im Hyde Park oder in seiner Nähe an die hundert Kutschen zu sehen, sodass es Zeitverschwendung gewesen wäre, Ausschau nach einer bestimmten zu halten, doch jetzt, Ende September, zu einer Zeit, da zwar die Sonne schien, es aber durchaus recht kühl war, wartete am der Stadt zugekehrten Ende von Rotten Row höchstens ein Dutzend Kutschen und vielleicht noch einmal die gleiche Anzahl am anderen Ende. Die Pferde standen ruhig da, das Messing ihres Zaumzeugs glänzte in der Sonne. Gelegentlich hörte man das leise Klirren eines Pferdegeschirrs. Kutscher und Lakaien sprachen im Schatten der Bäume miteinander und achteten wie die Luchse darauf, nicht von ihrer zurückkehrenden Herrschaft dabei ertappt zu werden.
    Charlotte war entschlossen, Vespasia zu finden und sie anzusprechen, ganz gleich, mit wem sie sich gerade unterhalten mochte  – außer wenn es die Gattin des Prinzen von Wales war, seit vielen Jahren Vespasias vertraute Freundin. Da diese aber so gut wie taub war, dürfte sie sich kaum mit ihr unterhalten. Sofern Vespasia indes ins Gespräch mit einer Herzogin oder Gräfin vertieft war, würde Charlotte höchstwahrscheinlich gar nicht merken, wen sie vor sich hatte. Schlagartig kam ihr zu Bewusstsein, dass sich äußerste Zurückhaltung empfahl, auch wenn sich später herausstellen sollte, dass die betreffende Dame in der Gesellschaft keine Rolle spielte. Es war Vespasia durchaus zuzutrauen, dass sie sich mit einer Schauspielerin oder Kurtisane unterhielt, sofern diese sie interessierte.
    Fast eine halbe Stunde lang eilte Charlotte suchend von einem Grüppchen zum anderen durch

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