Die Frau aus Alexandria
Sicherheit gab es mehr darüber zu erfahren.
KAPITEL 7
E s fiel Charlotte ausgesprochen schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, solange sich Pitt in Ägypten befand – allein in einem Land, über das er nichts wusste. Gefährlicher als diese mangelnde Vertrautheit mit den Lebensumständen war, dass er sich dort nach einer Frau erkundigen musste, die möglicherweise gegen die britische Schutzherrschaft über Ägypten kämpfte. Charlotte bemühte sich nach Kräften, an etwas anderes zu denken, sich um die Dinge ihres Alltags zu kümmern, doch sobald sie die letzte der Gaslampen im Erdgeschoss löschte und allein nach oben ins Schlafzimmer ging, flohen all diese Gedanken und ließen sie mit der ungeheuerlichen Tatsache seiner Abwesenheit allein, und während sie im Dunkeln dalag, malte sie sich die wildesten Möglichkeiten aus.
So war sie froh, als Tellman am dritten Abend nach Pitts Abreise auftauchte. Er war an die Hintertür gekommen, und Gracie hatte ihn eingelassen. Er sah müde und durchgefroren aus, was bei dem kalten Wind weiter kein Wunder war. In der Spülküche schüttelte er sich ein wenig, denn es hatte kurz zuvor geregnet, dann zog er den Mantel aus.
»Guten Abend, Mrs Pitt«, sagte er und sah sie aus alter Gewohnheit besorgt an, als sei es nach wie vor seine Aufgabe, sich in Pitts Abwesenheit um sie zu kümmern. Schon längst tat er nicht mehr so, als wäre ihm derlei gleichgültig.
»Guten Abend, Inspektor«, sagte sie. In ihr Lächeln mischte sich eine gewisse Belustigung, aber zugleich auch ihre Freude, ihn zu
sehen. Mit voller Absicht redete sie ihn mit seinem dienstlichen Titel an. Seinen Vornamen hatte sie noch nie verwendet, und sie war nicht einmal sicher, ob Gracie das außer bei wenigen besonderen Gelegenheiten getan hatte, bei denen Förmlichkeit nicht am Platze gewesen wäre. »Es scheint Ihnen kalt zu sein. Setzen Sie sich und trinken Sie eine Tasse Tee«, forderte sie ihn auf. »Haben Sie schon zu Abend gegessen?«
»Nein«, sagte er, zog sich einen Stuhl herbei und nahm Platz.
»Ich mach Ihnen was«, erbot sich Gracie rasch und schob schon den Wasserkessel auf die heiße Mitte des Herdes. »Wir ha’m aber nur noch kalt’n Hammel un gekocht’n Kohl mit Kartoffeln – woll’n Se was davon?«
»Sehr gern, danke«, sagte Tellman und warf einen Blick zu Charlotte hinüber, um sich zu vergewissern, dass auch die Hausherrin einverstanden war.
»Nur zu«, sagte sie rasch. »Haben Sie schon etwas über Martin Garvie erfahren?«
Er ließ den Blick von ihr zu Gracie wandern. Auf seinem hageren Gesicht mit den hohen Wangenknochen lagen tiefes Mitgefühl und eine Freundlichkeit, die vom weichen Licht der Gaslampe verstärkt wurde.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe wirklich alles getan, was mir ohne offiziellen polizeilichen Auftrag möglich war.« Dagegen konnten die Frauen nichts sagen. Sie kannten seine schwierige Situation auf der Polizeiwache in der Bow Street.
»Was ha’m Se denn rausgekriegt?«, fragte Gracie, stellte eine Bratpfanne auf den Herd und bückte sich, um das Feuer zu schüren, damit es wieder richtig in Gang kam. Sie tat das mehr oder weniger automatisch und sah dabei hauptsächlich zu Tellman hin.
»Es steht fest, dass Martin Garvie verschwunden ist«, gab er unglücklich zu. »Seit zwei Wochen hat ihn niemand gesehen, aber auch von Stephen Garrick weiß niemand etwas, nicht einmal die Dienstboten im Hause. Zuerst hatten sie vermutet, dass er sich in seinen Zimmern aufhielt und einen seiner Anfälle hätte ...«
»Aber doch nicht zwei Wochen lang. Das müsste doch zumindest die Köchin wissen«, fiel ihm Charlotte ins Wort. »Ganz gleich, wie krank er wäre, würde er doch auf jeden Fall wollen, dass ihm jemand zu essen bringt. Außerdem hätte die Familie in einem so langen Zeitraum bestimmt längst den Arzt gerufen.«
»Soweit ich feststellen konnte, war kein Arzt im Hause«, sagte Tellman und schüttelte dabei den Kopf ein wenig. »Und auch sonst haben keine Besucher nach ihm gefragt.« Sein Gesicht spannte sich an, seine Augen wurden dunkel. »Er ist nicht zu Hause – und auch sein Kammerdiener nicht.«
Gracie holte die kalten Kartoffeln aus der Speisekammer. Sie entschuldigte sich und begann Zwiebeln zu schälen und zu schneiden, wobei sie nach einem Taschentuch griff. »Kohl mit Kartoffeln ohne Zwiebeln is nix«, sagte sie erklärend. Allmählich wurde die Pfanne heiß.
»Ist denn auch keine Post gekommen?«, erkundigte sich Charlotte. »Und
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