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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Mameluckenwort gesagt, denn plötzlich belebte sich alles wieder, Maruzza machte einen Schritt vor, doch er machte einen zurück, von einer plötzlichen Angst ergriffen.
    Die Schönheit Maruzzas, die auf ihn zukam, erschien ihm für einen Moment wie etwas Abstoßendes, das man gar nicht anschauen kann, etwas Abstoßendes, das einen in Furcht und Schrecken versetzt.
    «Ich gehe den Wein holen», sagte er.
    Als er wiederkam, hatten sich Maruzza und Donna Pina hingesetzt, die Urgroßmutter indes konnte er nirgendwo entdecken.
    «Wo ist denn Donna Minica?», fragte er.
    «Ich bin hier oben.»
    Gnazio blickte nach oben. Die Alte war in den Olivenbaum geklettert. Mit dem Blick gab Donna Pina ihm zu verstehen, dass es besser wäre, jetzt nichts zu sagen und die Greisin tun zu lassen, wonach es ihr gerade beliebte. Er füllte das Glas von Maruzza, das von Donna Pina und sein eigenes und hörte eine Stimme neben sich:
    «Und ich kriege nichts?»
    «Hier kommt Euer Glas.»
    Er füllte auch das Glas der Urgroßmutter. Doch wie hatte Minica es geschafft, vom Baum herunterzuklettern und neben ihm zu stehen, ohne das geringste Geräusch zu machen? Da standen auch die beiden anderen Frauen auf, und alle erhoben das Glas, um anzustoßen.
    Die Urgroßmutter und Donna Pina sahen Maruzza an, Maruzza öffnete den Mund, blickte Gnazio in die Augen und fing an zu singen.
    Sie hatte eine warme, dabei kräftige, melodiöse Stimme, die ihn sofort gefangen nahm. Diese Stimme war wie ein warmer Wind, der dich nach und nach leichter werden lässt, dich wie ein Blatt so schwerelos in die Lüfte emporhebt und dich in die weiten Himmelsräume fortträgt. Sie sang ein Lied ohne Worte.
    Es besagte, wie schön es ist, wenn zwei Menschen sich gefallen, sich begegnen, sich anblicken, sich dann erneut begegnen und sich wieder anblicken und verstehen, dass sie geschaffen sind, ein Leben lang beieinanderzublei- ben.
    Wie zum Teufel ist es möglich, dass ich die Worte verstehe, obwohl es gar keine Worte gibt?, fragte sich Gnazio überrascht, durcheinander und benommen.
    Sie tranken. Sie setzten sich. Dann fragte Minica:
    «Kennt Ihr die Geschichte dieses Olivenbaums?»
    «Es heißt, er wäre tausendzweihundert Jahre alt», sagte Gnazio.
    «Das stimmt. Doch an derselben Stelle stand vorher eine Pinie.»
    «Woher wisst Ihr das nur?», sagte Gnazio wieder, diesmal mit einem Lächeln, das er nicht zurückzuhalten vermochte.
    «Ich weiß alles, was in dieser Gegend im Laufe der letzten Jahrtausende geschehen ist», erwiderte Minica.
    «Und wer hat Euch das erzählt?», fragte Gnazio und lachte.
    Doch er hörte sofort auf, weil der Blick von Donna Pina ihm zu verstehen gab, dass er einen Fehler machte, wenn er sich gegen die Urgroßmutter stellte. Die aber schien ihn gar nicht gehört zu haben.
    «Wisst Ihr, wer der letzte Eigentümer dieses Landstücks war?», fragte Minica.
    «Ja, schon, das sagte man mir, ich glaube, er hieß Cicco Alletto.»
    «Der wurde hier verrückt.»
    «Auch das hat man mir erzählt.»
    «Und hat man Euch auch erzählt, warum?»
    «Man hat mir erzählt, er hätte ein Wimmern und Klagen gehört …»
    «Ich erzähle Euch jetzt mal, wie das war. Eines Nachts, als er in dem Strohschober schlief, hörte Cicco Alletto ein eigentümliches Wimmern, mal schien es eine Art Hunde- gewinsel zu sein, allerdings wie von einem kleinen Hündchen, das gerade erst geboren war, mal das Weinen einer Frau. Er stand auf und ging aus dem Strohschober. Am Himmel stand ein Mond, der Tageshelle verbreitete. Das Wimmern kam von hier, von unterhalb des Olivenbaums, und Cicco Alletto trat näher. Er sah eine Frau, die ihm den Rücken zugewandt hatte und weinte, es muss wohl eine junge Frau gewesen sein, deren Kleidung ihm merkwürdig vorkam. Sie hatte langes, ganz langes blondes Haar. Er trat noch näher, das hörte sie und drehte sich um. Da wurde Cicco Alletto verrückt.»
    «Aber wieso?»
    «Weil die junge Frau anstelle des Gesichts einen Totenschädel hatte, mit drei Zahnreihen, und sie stürzte sich auf Cicco, um ihn aufzufressen. Sie hatte schon den Mund geöffnet, doch da zeigte sich der erste Sonnenstrahl, der sie zwang zu verschwinden.»
    Gnazio war ganz mitgenommen von dieser Geschichte und trank schnell ein Glas Wein. Maruzza und Donna Pina tuschelten angeregt miteinander, sie hörten der Urgroßmutter nicht zu.
    Vielleicht kannten sie diese Geschichte mit dem weinenden Totenschädel bereits.
    «Sie hieß Skylla», sagte Minica.
    «Wer?», fragte

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