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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Erkennst du mich?»
    «Aus … dem Hinter-halt!», brachte Aulissi hervor.
    «Was für ein Hinterhalt?»
    «Aus … dem Hin-ter-halt … ergriff mich ih-re Stimme. Es war mir, ich konnte se-hen, wie schön … Sie war … Sie rief mich … Sie sang …»
    Dann schloss er die Augen und starb. Einfach so, allein indem er die Augen schloss und das erschaffene Universum auslöschte, starb er.

[zur Inhaltsübersicht]
Die Hochzeit nach Art der Urgroßmutter
     
     
     
     
     
    Angesichts des Umstands, dass Aulissi Dimare tot war, ließen die Fischer sich Zeit. Im Schatten des Olivenbaums tranken sie jeder zwei Gläschen Wein, redeten eine gute Stunde über dieses und jenes miteinander, nahmen dann die Leiche, die drei Schritt entfernt auf der Erde lag, hievten sie wieder auf das Segel und trugen sie davon.
    Gnazio verweilte einen Augenblick und fragte sich, wieso Aulissi sich umgebracht hatte. Doch er konnte keinen Grund finden. Aber wie sagten schon die Altvorderen in ihrer unendlichen Weisheit?
    «Tränen einem Toten nachgeweint, sind verlor’ne Tränen.» Und so besann sich Gnazio wieder auf die Hochzeit, die Minica noch am selben Abend feiern wollte.
    Die Alte hatte ihm gesagt, er möge nichts, aber auch gar nichts vorbereiten. Was aber sollte das für eine Hochzeit sein, wenn es da nicht einmal Kuchen gab und ein Fläschchen süßen Rosolio, um das Ereignis zu feiern?
    Um sechs Uhr am Nachmittag nahm er das Maultier und machte sich auf den Weg nach Vigàta.
    Und weil er nun schon einmal da war, ging er auch gleich bei Don Filippo Greco vorbei. Der Schneider ließ ihn die Anzugjacken anprobieren, und während Gnazio probierte und probierte, brummelte Don Filippo vor sich hin und stieß Verwünschungen aus.
    Allerdings brauchte es dazu auch nicht gerade viel, dass der Schneider Verwünschungen ausstieß.
    «Stimmt was nicht, Don Filì?»
    «Und wie da was nicht stimmt! Ihr Landarbeiter, ihr kriegt vom vielen Hacken doch alle einen krummen Rücken!»
    Gnazio wurde es ganz anders zumute. Auch das noch! Jetzt war er auch noch zu einem Buckligen geworden! Wie konnte Maruzza ihn bloß noch heiraten, alt und bucklig und hinkend, wie er war? Er verstand die Welt nicht mehr. Da soll einer wissen, wie diese Weiber denken!
    Danach ging er zu
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, setzte sich an einen der Kaffeehaustische draußen und bestellte ein Glas Wasser mit einem Tropfen Anis.
    Und weil es Samstag war, flanierten viele gutgekleidete Menschen auf der Straße, grüßten einander und lachten. Doch Gnazio kannte nicht einen von ihnen. Seit er sich das Stück Land gekauft hatte, war kein Tag vergangen, an dem er nicht gearbeitet hatte. Er kam immer nur dann in den Ort, wenn er etwas brauchte. Die Dämmerung setzte ein, da stand er auf, ging in das Café und kaufte eine Cassata, acht Cannoli, ein Kilo Königinnen-Plätzchen, ebenso Buttergebäck und eine Flasche Rosolio.
    Zu Hause meldete sich sein Appetit. Ihm wurde bewusst, dass er gar nichts zu Mittag gegessen hatte. Sollte er auch für Maruzza und die beiden Frauen etwas zubereiten? Nein, Minica hatte gesagt, sie würden spät kommen.
    Er machte Feuer, schürte die Glut und legte ein Stück Fleisch darauf. Doch kaum verbreitete sich der Geruch nach Gebratenem, verging ihm der Appetit.
    Er trat vor die Tür, weil er sich unter den Olivenbaum setzen wollte, da sah er einen Hund, der sich just an der Stelle hingelegt hatte, an der Aulissi gestorben war, und leise vor sich hin winselte. Gnazio sah ihn genauer an. Es war wirklich Aulissis Hund! Der hieß Grò und betrauerte wohl den Tod seines Herrn.
    Und weil ihm der arme alte Hund leidtat, ging er ins Haus, nahm das halbgare Stück Fleisch und warf es dem Tier hin. Doch das rührte sich nicht. Da nahm Gnazio das Fleisch in die Hand und hielt es ihm vor die Nase.
    «Friss nur, Grò, denk nicht mehr an deinen Herrn! Wenn es dir hier gefällt, dann bleib! Dann wirst du eben mein Hund.»
    Der Hund beschnupperte das Fleisch, packte es mit den Zähnen, stand langsam auf, machte ein paar Schritte, öffnete das Maul, ließ das Fleisch auf die Erde fallen und trollte sich an dieselbe Stelle, an der er zuvor gelegen hatte.
    «Wie du willst», sagte Gnazio. «Wenn dein Trauerschmerz vorbei ist, kannst du es ja fressen.»
    Er setzte sich auf den Stein und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum.
    Der Mond stieg auf und machte ihn ganz beklommen. Riesengroß und kreisrund stand er am Himmel, als wäre er da hinaufgeschossen worden und auf

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