Die Frau aus dem Meer
Gnazio ganz vermameluckt.
«Die weinende junge Frau. Sie hieß Skylla. Sie hatte ihren Verlobten verloren, der Glaukos hieß. Und sie hatte sich das Leben genommen, indem sie sich ins Meer warf. Doch alle fünfhundert Jahre kehrt sie zurück und beweint ihren Glaukos unter der Pinie, die sie gemeinsam gepflanzt hatten, als sie noch glücklich waren. Dann ist die Pinie abgestorben, und an derselben Stelle wuchs ein Olivenbaum heran. Das hatte für Skylla aber überhaupt keine Bedeutung, für sie war der Olivenbaum genauso gut wie die Pinie. Cicco Alletto hatte bloß das Unglück, sie just in der Nacht zu sehen, als Skylla wieder an Land gekommen war.»
Gnazio trank noch ein Glas Wein.
«Schluss jetzt mit den alten Geschichten!», sagte Minica. «Gefällt Euch Maruzza?»
«Sehr, sehr.»
«Ich weiß, dass Ihr ein anständiger Herr seid. Ihr müsst sie einfach gut behandeln – das müsst Ihr verstehen! Hin und wieder muss sie allein sein. Und Ihr müsst sie tun lassen, was sie tun will. Ich will Euch etwas sagen: Wisst Ihr, warum Euer Stück Land ‹Ninfa› heißt?»
«Nein.»
«Wollt Ihr’s wissen?»
«Solange es keine Geschichte ist, die einen in Angst und Schrecken versetzt …»
«Nein, nein, keine Sorge! Hier lebten einst zwei schöne Mädchen, die man Nymphen nannte, und sie besaßen jede Menge Vieh: Rinder, Schafe, Ziegen. Eines Tages kamen drei Boote voller Soldaten übers Meer, die aus dem Krieg heimkehrten; sie waren vollkommen ausgehungert, weil sie schon so lange auf See herumfuhren, und sie machten sich daran, alles Getier, dem sie begegneten, zu töten und es aufzuessen. Danach legten sie wieder ab. Doch Gott ließ ihnen das nicht so ohne weiteres durchgehen und entfesselte einen Sturm, in dem sie alle ihr Leben verloren. Außer einem.»
Sie stand auf, kam zu Gnazio und flüsterte ihm ins Ohr:
«Das hier war ein Ort mit grünen Wiesen, voller Bäume mit allen Früchten der Welt. Und den beiden Nymphen gefiel es, sich hier der Liebe hinzugeben. Das taten sie des Tags und auch bei Nacht. Gebt Ihr Euch gern der Liebe hin?»
Gnazio konnte hierauf nicht antworten, seine Kehle war wie ausgedörrt. Diese junge Stimme am Ohr, die ihm von der Liebe erzählte, sie ließ ihm gar noch das Blut in den Adern stocken.
«Doch mit der Liebe muss man umzugehen wissen», fuhr Minica fort. «Wenn einer nicht weiß, wie man mit ihr umgeht, kann es in Streit ausarten, in bösen Streit … Ihr versteht doch, was ich meine, oder?»
Heilige Muttergottes, was hatte sie nur für eine Stimme! Gnazio konnte nicht mehr an sich halten, er spürte, wie da unten, in seiner Hose, ein wahres Erdbeben losbrach. Er versuchte sich zu besinnen. Wie konnte eine hässliche Alte allein durch ihr Reden eine solche Wirkung bei ihm auslösen?
«Ja», sagte er, damit sie mit ihrem Gerede aufhörte und damit vielleicht auch seine Qual ein Ende hätte.
Doch die Alte kam noch näher; jetzt spürte er ihren warmen Atem so nahe, dass ihm war, als würde vom Inneren seines Ohres ein direkter Weg dorthin führen, wo das Erdbeben stattfand.
«Geht mit der Liebe immer pfleglich um! Die Liebe ist wandelbar; sie kann leicht sein wie ein Strohhalm, der Euch in den Himmel trägt, oder schwer wie ein Tragebalken, der Euch zermalmt. Habt Ihr mich verstanden?»
«Ich habe Euch verstanden.»
«Dann habe ich Euch nichts mehr zu sagen. Maruzza, komm her zu mir!»
Gnazio stand auf, und Maruzza stellte sich neben ihn.
«Lass dich beschnuppern!», sagte die junge Frau.
Und bevor Gnazio sich noch von seinem Erstaunen erholen konnte, strich Maruzza mit ihrem Näslein über seine Haut, roch an seinen Haaren, an seiner Stirn, an seinen Augen, seinem Mund, seinem Hals.
Dann leckte sie ihm mit der Zungenspitze das Ohr ab. Gnazio fühlte sich, als könnte er jeden Moment den Verstand verlieren.
«Wie gefällt er dir?», fragte Minica.
«Gut», antwortete Maruzza.
Und sie begann erneut zu singen. Wesentlich lauter als beim ersten Mal.
Sie sang, wie schön es für eine Frau ist, den richtigen Mann zu finden, wie schön es ist, von diesem Mann in die Arme genommen zu werden, und wie viel schöner es noch ist, in der Nacht den Duft dieser männlichen Haut vermengt mit dem Duft der Frau zu atmen …
Plötzlich kam aus der Richtung des Meeres ein lautes Rufen. Es waren fünf Männer, die da riefen, doch es war unmöglich, ihre Worte zu verstehen.
«Habt Ihr das verstanden? Was ist denn passiert?», fragte Donna Pina.
«Oft fischen die Boote dicht am
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