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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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heftig, dass er wie gelähmt war, halb vorgebeugt, die Schiebermütze in der Hand, haargenau wie einer, der um Almosen bettelt. Er konnte sich weder bewegen, noch konnte er sprechen.
    Don Filippo kam heraus.
    «Kommt herein, wir machen jetzt die Anprobe!»
    Doch Gnazio konnte sich nicht rühren.
    «Habt Ihr nicht gehört? Wir machen die Anprobe!»
    Doch nichts regte sich. Eine Statue stand vor ihm. Da begriff der Schneider.
    «Heilige Muttergottes! Er hat einen Hexenschuss!»
    Und als er das alte Kräuterweiblein von hinten erkannte, das sich mit einer jungen Frau entfernte, da rief er sie herbei:
    «Donna Pina!»
    Während Donna Pina, nachdem sie sich von Maruzza verabschiedet hatte, wieder zurückkam, hob Don Filippo mit Hilfe Carmineddros, seines Lehrburschen, unter Mühen und Verwünschungen diese Statue hoch, zu der Gnazio geworden war, und brachte sie ins Hinterzimmer des Geschäfts, wo ein großes Sofa stand.
    Donna Pina legte ihn hin, fuhr mit einer Kräutermischung über seinen Rücken, gab ihm ein paar Schläge mit der flachen und der aufgerichteten Hand, rieb ihn mit einem besonderen Öl aus einem Fläschchen ein, das sie aus der Tasche zog, und sagte:
    «Bleibt eine Weile liegen!»
    Und ging hinaus.
    Nach einer Stunde konnte Gnazio sich endlich wieder rühren.
    «Wollen wir nun diese Anprobe machen?», fragte der Schneider.
    «Ach, was denn für eine Anprobe!», entgegnete Gnazio wütend.
    Mit gesenktem Haupt machte er sich wieder nach Hause auf, sein Zorn war einer großen Wehmut gewichen. Er war überzeugt, dass er sich Maruzza wegen des abscheulichen Bildes, das er abgegeben hatte, aus dem Kopf schlagen konnte. Wäre ja noch schöner gewesen, dass sie einen Alten mit Kreuzschmerzen heiratete!
    Gemach, gemach! Er hatte kein Glück gehabt. Das war eben Schicksal.
    Kaum war er angekommen, zog er sich aus, legte sich ins Bett, zog die Decke über den Kopf, mummelte sich fest ein und schloss die tränennassen Augen.
    Und ganz langsam schlief er ein.

[zur Inhaltsübersicht]
Die Urgroßmutter
     
     
     
     
     
    Eine Stimme aus dem unteren Zimmer weckte ihn.
    Er erkannte sie, es war die Stimme von Donna Pina.
    «Kommt herauf!»
    Die Alte sah, dass er im Bett lag und die Bettdecke über den Kopf gezogen hatte, und sie fragte ihn, ob er noch Rückenschmerzen habe.
    «Nein, die sind weg», antwortete Gnazio, ohne den Kopf unter der Decke hervorzustecken.
    «Warum seid Ihr dann so eingemummelt?»
    «Weil es mir so gefällt.»
    «Ich soll Euch sagen, dass …»
    «Kein Wort! Kein Wort!»
    «Wieso nicht?»
    «Ich will Eure Worte nicht hören! Ich kenne sie schon!»
    «Was will ich denn sagen?»
    «Dass Maruzza mich nicht will.»
    «Aber sie will Euch doch, sie will Euch doch!»
    Ganz langsam steckte Gnazio den Kopf unter der Decke hervor.
    «Ehrlich?»
    «Ganz ehrlich!»
    «Aber sie hat mich doch nicht einmal angesehen, als sie an mir vorüberging!»
    «Bei einer Frau sieht es immer nur so aus, als würde sie nicht schauen, aber in Wirklichkeit schaut sie doch – und wie sie schaut!»
    «Hat sie denn nicht gesehen, dass ich mich vor lauter Rückenschmerzen nicht mehr rühren konnte?»
    «Das hat sie gesehen. Maruzza wusste aber nicht, dass es wegen der Rückenschmerzen war. Da habe ich ihr gesagt, es wäre aus einem anderen Grund.»
    «Was habt Ihr gesagt?»
    «Dass Ihr vor dem Anblick ihrer Schönheit erstarrt wärt.»
    «Und das hat sie geglaubt?»
    «Frauen glauben immer, dass ihre Schönheit alles Mögliche verursachen kann.»
    «Dann bedeutet das, dass die Verlobung stattfindet?»
    «Sie findet statt.»
    Gnazio fuhr senkrecht im Bett hoch und fing an, auf der Matratze herumzuhopsen wie ein kleiner Junge.
    «Heilige Maria, ist das eine Freude!»
    «So beruhigt Euch doch!», sagte die Alte. «Und hört mir gut zu: Morgen Vormittag geht Maruzza ihre Urgroßmutter besuchen, und Samstagvormittag kommen wir alle drei hierher. Gebt Ihr mir jetzt das Gläschen Wein oder nicht?»
    Am nächsten Tag, an dem er viel an den Bäumen zu schneiden hatte, kam ihm der Gedanke, dass, wenn er schwitzen würde, womöglich auch seine Rückenschmerzen wiederkämen. Da nahm er sein Maultier und ritt zu seinem Nachbarn, der Aulissi Dimare hieß, ein hochgewachsener Mann um die vierzig, stark, mit kurzgeschnittenem Bart, glänzenden schwarzen Augen und so von der Sonne verbrannt, dass er wie ein Araber wirkte.
    «Ich bitte Euch um einen Gefallen.»
    «Was kann ich für Euch tun?», sagte Aulissi.
    «Könntet Ihr meine Bäume

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