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Die Frau aus dem Meer

Die Frau aus dem Meer

Titel: Die Frau aus dem Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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unverheiratet dreiunddreißig Jahre alt geworden.»
    «Und jetzt ist ihre Tante gestorben?»
    «Nein, vor drei Jahren.»
    «Donna Pina, ich warne Euch, haltet mich nicht für einen Trottel!»
    «Ich halte Euch in keinster Weise für einen Trottel!»
    «Wie wollt Ihr mir dann erklären, dass diese junge Frau in den drei Jahren noch nicht geheiratet hat?»
    «Weil, weil, weil …»
    «Könnt Ihr mir wenigstens sagen, wie sie heißt?»
    «Sie heißt Maruzza Musumeci.»

[zur Inhaltsübersicht]
Maruzza Musumeci
     
     
     
     
     
    Der Name gefiel ihm.
    «Sagt mir doch endlich, Donna Pina, was Ihr mir so umschweifig sagen wollt?»
    Die Alte verschluckte sich, hustete und spuckte aus.
    «Also, ich muss Euch sagen, dass sie glaubt, etwas zu sein, was sie gar nicht ist. Aber ich kenne viele Menschen, die von sich glauben, etwas anderes zu sein, als sie in Wirklichkeit sind. Zum Beispiel, kennt Ihr Don Sciaverio Catalanotti?»
    «Der in Vigàta Schuhe verkauft?»
    «Genau der. Wie ist der im Kopf, Eurer Meinung nach?»
    «Mir kommt er völlig gesund vor im Kopf.»
    «Wisst Ihr, dass er glaubt, er wäre ein Vogel?»
    «Ehrlich?»
    «Ganz ehrlich! Das hat er mir gesagt, als ich seinen Ischias behandelt habe. Und kennt Ihr Filippo Capodicasa?»
    «Den kenne ich. Donna Pina, kommen wir doch auf den Punkt. Warum hat dieses Mädchen noch nicht geheiratet?»
    Bevor die Alte antwortete, trank sie ein ganzes Glas Wein, Zug um Zug. Erst danach öffnete sie wieder den Mund.
    «Wollt Ihr die ganze Geschichte hören?»
    «Natürlich die ganze!»
    «Weil Maruzza dachte, dass ihr als Frau etwas Wichtiges fehlt und dass sie deshalb nicht mit einem Mann zu tun haben kann.»
    «Ich verstehe kein Wort! Würdet Ihr mir das etwas genauer erklären?»
    «Sie meinte, sie ist keine richtige Frau, sie ist anders geboren, sie hätte zwar Brüste, das schon, aber sie hätte kein Loch.»
    «Aber, aber! Was redet Ihr denn da!»
    «Ich schwör’s Euch!»
    «Aber warum sollte sie so was erzählen?»
    «Weil sie glaubte, sie wäre ein Fisch.»
    «Ein Fisch?!»
    «Na ja, ein Fisch eigentlich nicht. Eher eine Sirene.»
    Gnazio kam sich vor, als wäre er unter die Türken gefallen. Nicht ein Wort begriff er.
    «Eine Sirene auf einem Dampfschiff? Eine, die beim Ein- und Auslaufen dieses laute Hupen von sich gibt?»
    «Was redet Ihr denn da für einen Blödsinn! Doch kein Dampfschiff! Wisst Ihr denn nicht, was eine Sirene ist?»
    «Nein.»
    «Das ist eine Meerjungfrau! Der obere Teil bis zum Bauchnabel ist eine Frau mit zwei schönen Brüsten, der untere Teil ist ein Fischschwanz. Tatsächlich kann eine Sirene nicht gehen, sondern nur schwimmen.»
    Gnazio blieb eine Weile stumm sitzen und stellte sich vor, wie eine Sirene beschaffen sein könnte. Schließlich fragte er:
    «Dann ist sie also verrückt?»
    «Huh, was für ein großes Wort – verrückt! Was ist denn dann mit Don Muniddro Ferla, der die Scheiße frisst, die er kackt? Ist der nicht Bürgermeister von Vigàta? Und mit Donna Manuela Zito, die alle ihre Haustiere einbalsamieren lässt, weil sie behauptet, in einem früheren Leben wäre sie eine Katze gewesen? Ist sie nicht die gütigste, heiligste Frau auf Erden? Was sind die denn – etwa verrückt?»
    «Nein, aber …»
    «Und außerdem ist für Maruzza jetzt alles anders.»
    «Denkt sie jetzt nicht mehr, dass sie eine Sirene ist?»
    «Ein Jahr vor ihrem Tod hatte ihre Tante mich zu sich gerufen und mir die Geschichte von Maruzza erzählt, die sich für eine Sirene hielt. Seitdem habe ich sie behandelt. Und jetzt geht es Maruzza viel besser, sie denkt nicht mehr ständig, dass sie eine Sirene wäre. Sie muss nur in der Nähe des Meeres leben. In Vigàta hat sie in einem Haus direkt am Strand gewohnt.»
    «Was heißt ‹nicht ständig›?»
    «An manchen Tagen denkt sie, sie wäre eine Sirene, und an anderen Tagen nicht. Und so hat sie mir gestern gesagt, dass sie heiraten wollte. Da habe ich gleich an Euch gedacht.»
    Gnazio saß eine Weile mit gesenktem Kopf da, dann sagte er:
    «Hört zu, Donna Pina, sie ist vielleicht doch nicht die Richtige. Und außerdem ist hier offenes Land, hier würde sie sich nicht wohl fühlen.»
    «Gnazio, da irrt Ihr Euch! Dieser Ort hier scheint mir für Maruzza wie geschaffen zu sein. Euer Land schwimmt schließlich auf dem Meer.»
    «Meinetwegen, aber …»
    «Erinnert Ihr Euch, wie ich Euch sagte, sie hätte zwar keine Mitgift, dafür aber etwas anderes?»
    «Ja. Und was hat sie?»
    «Schönheit!», sagte die

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