Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich
veröffentlichte, bedienten sich die Deutschen allein im Jahr 1941 an 18 500 belgischen Kfz, die Reichsbahn beschaffte sich 1086 Lokomotiven und 22 120 Güterwagen. Außerdem gingen Tonnen an Kohle, Zement, Walzstahl, Schrott, Kupfer, Blei, Textilien, Industrieprodukte jeder Art ins Reich. Bis Ende Februar 1942 waren das allein Waren im Wert von 2,6 Milliarden Reichsmark.
1943 überstiegen die »Clearing-Kosten« sogar die Besatzungskosten in Belgien. Und mit Wissen und Genehmigung der deutschen Militärverwaltung langten nun auch private Investoren zu, halbseidene Schwarzmarkthändler und – nicht weniger halbseiden agierende Ministerien und deren Unterabteilungen: das Rüstungsministerium Albert Speers, die Aufkäufer von Göring, der Reichsführer SS Heinrich Himmler, die Kraftfahrzeugstelle des Heeres und auch der Heeressanitätspark konnte noch etwas gebrauchen.
Doch es gab noch etwas zu holen: Belgien verfügte über einen Schatz von 41 Tonnen Gold, die hatte die belgische Regierung nach Dakar in Französisch-Westafrika in Sicherheit gebracht. Der Senegal, wie er erst später heißen sollte, war damals noch französische Kolonie, und die mit den Deutschen kollaborierende Vichy-Regierung in Frankreich ließ das Gold nach Marseille bringen und lieferte es an einen Vertreter der deutschen Reichsbank aus.
Verfolgung und Widerstand
Belgien war nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Zufluchtsort vieler Emigranten geworden. Vor allem nach Antwerpen mit seiner großen jüdischen Gemeinde zog es so wie Jean Améry Tausende jüdische Exilanten aus ganz Europa. 1940 lebten in Belgien etwa 115 000 Juden, die meisten waren erst seit kurzem im Land. Nur einige Tausend, weniger als sieben Prozent, besaßen die belgische Staatsangehörigkeit – was allen anderen in den nächsten Jahren noch weniger Schutz bescheren sollte, als wenn sie alteingesessen gewesen wären.
Unmittelbar nach der Besetzung hielten sich die deutschen Behörden mit Sanktionen gegen die Juden zurück. Man vermutet, dass sie fürchteten, die Belgier könnten antijüdischen Maßnahmen ablehnend gegenüberstehen. Zudem war Belgien dezentral strukturiert, die Entscheidungsgewalt lag also bei den kommunalen Verantwortlichen. Zum einen vereitelte das eine zentrale Organisation der »Endlösung«, zum anderen erlaubte es örtlichen Kommissariaten die Beteiligung an Verhaftungen, wie sie auf nationaler Ebene kaum durchsetzbar gewesen wären.
Im Herbst 1940 bereits gaben die Militärbehörden ihre Zurückhaltung auf. Zwischen dem 28. Oktober 1940 und dem 21. September 1942 drängten die Nazis die Juden durch eine Reihe von 17 diskriminierenden Verordnungen in eine Sonderrolle, beschränkten ihre Aufenthaltsorte auf Lüttich, Charleroi, Brüssel und Antwerpen und grenzten sie systematisch aus dem gesellschaftlichen Leben aus.
Über die Verfolgung der Juden in Europa ist an anderer Stelle und auf vielfältige Weise geschrieben und berichtet worden. Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Belgien geschah auf die gleiche diskriminierende und letztlich tödliche Weise wie überall in Europa, sie unterscheidet sich jedoch in dem Bild, das die Belgier von sich selbst in Erinnerung behalten haben. Wie die Deutschen – »wir haben das nicht gewusst!« –, so haben auch die Belgier einen Teil ihrer Vergangenheit aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. Man hat seit Kriegsende überwiegend ganz gut mit der Vorstellung gelebt, eine Vielzahl von jüdischen Verfolgten den Nazis entrissen zu haben.
Man war zu Recht stolz auf die Rettung der zahlreichen jüdischen Kinder, die von Belgiern aufgenommen worden waren; unverdächtige nichtjüdische Belgier gaben Kinder von verfolgten Freunden als ihre eigenen aus, ließen sie, nicht selten mit dem augenzwinkernden Wissen von Polizei oder Gemeindebehörden, als Adoptivkinder eintragen. Andere gaben an, man habe die Kinder »gefunden«, sie seien »vor die Tür gelegt« oder »abgegeben worden« und man wolle sie unbedingt behalten. Familien, Freundeskreise, sogar ein ganzes Dorf in den Ardennen bewahrte Stillschweigen, als einheimische Familien jüdische Kinder als ihre eigenen im Gemeinderegister nachtragen ließen. Auch Paul Spiegel, der spätere Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, wurde durch Pflegeeltern in Belgien gerettet.
Postboten öffneten an die Gestapo gerichtete Briefe, um dem Widerstand mitzuteilen, wer denunziert wurde, oder ließen Briefe ganz verschwinden. Polizisten
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