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Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich

Titel: Die Frau aus Flandern - eine Liebe im Dritten Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Seidert
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warnten vor dem bevorstehenden Besuch der Gestapo – was unmittelbar die Drohung nach sich zog, weiterer Verrat werde unverzüglich mit der Erschießung von Geiseln bezahlt werden. Nicht wenige Belgier haben Verfolgte versteckt: in ihrem Keller, in ihren Wohnungen, auf ihrem Dachboden, haben ihnen zur Flucht ins Ausland verholfen, sie mit gefälschten Papieren ausgestattet und mit Geld, Kleidung und Lebensmittelkarten versorgt.
    Die Geschichten von wagemutigen und geglückten Rettungsaktionen wurden noch jahrzehntelang in Belgien kolportiert. Nicht zuletzt durch den oft lebensgefährlichen Einsatz vieler belgischer Bürger gelang es tatsächlich, etwa 30   000 der in Belgien registrierten Juden zu retten.
    Der Widerstand in Belgien erschöpfte sich nicht in individuellen Aktionen. Gleich nach der Besetzung hatten sich in den südbelgischen Industrierevieren unabhängig voneinander agierende bewaffnete Untergrundgruppen gebildet. In den ausgedehnten Waldgebieten der Ardennen schlossen sich Partisanen zu größeren Gruppen zusammen. Die Front de L’independance oder Onafhankelijkheidsfront war die zahlenmäßig größte Vereinigung mit Beteiligung aller politischen und religiösen Richtungen, da ihr aber als einzige Partei die Kommunisten beitraten, galt sie als von dieser dominiert. Das führte dazu, dass sich konservative Gruppen der Front fernhielten und sie aus England wenig Waffenunterstützung erhielt. Ab 1942 schlossen sich dem Widerstand auch Männer und Frauen an, die der im selben Jahr eingeführten Zwangsverpflichtung zur Arbeit im Reich entkommen wollten. Das allen eigene Ziel war, das Besatzungsregime zu unterminieren. Das geschah in unterschiedlichen Formen: indem gefährdete Personen versteckt wurden, man sich an Sabotageakten und bewaffneten Aktionen beteiligte oder Attentate auf Kollaborateure verübte. Der Überfall auf den XX. Deportationszug nach Auschwitz, der von drei Aktivisten fast ohne fremde Hilfe durchgeführt wurde, war eine der meistbeachtetsten Aktionen des belgischen Widerstands.
    Doch 2007 erschien eine Studie, die bereits im Titel ›Das gefügige Belgien‹ verriet, dass nicht alle nur »gute« Menschen gewesen sein konnten. Dass mitten unter ihnen Verräter, Kollaborateure, stille Mitläufer, Dulder und aktive Helfer gewesen waren, die sich mitschuldig gemacht hatten, dass während der Besatzung in Belgien rund 350 Sinti und Roma und knapp 25   000 Juden nach Auschwitz gebracht worden waren.
    So wie es verschiedene Formen von Widerstand gegeben hatte, so gab es unterschiedliche Arten von Kollaboration. Die jüdische Bevölkerung sollte zur Zwangsarbeit in belgischen Rüstungsbetrieben und auf den Baustellen am Atlantikwall in Nordfrankreich eingesetzt werden. 10   000 Juden sollten, so hatte es Eichmann im Januar 1942 verfügt, aus Belgien zum Arbeitseinsatz »abbefordert« werden. Die von der Exilregierung bevollmächtigten Spitzenbeamten in den Ministerien protestierten förmlich. Vereinzelt wurden Kommunalbehörden angewiesen, die »Gestellungsbefehle« nicht abzuliefern. Da die Aufrufe nicht den gewünschten Erfolg brachten, nur etwa ein Drittel folgten den Arbeitseinsatzbefehlen – verlegte sich die Besatzungsmacht auf die Durchführung einer Reihe von Razzien. In mehreren Verhaftungswellen wurde Jagd auf die jüdischen Bürger gemacht.
    Das Vorgehen bei diesen Razzien unterschied sich in Brüssel oder Lüttich stark von dem in Antwerpen. Der Brüsseler Bürgermeister Coelst hielt die ihm unterstellte Kommunalpolizei bei solchen Aktionen zurück. Nur durch den listigen Vorwand der Besatzer, es handele sich um eine Routinekontrolle, nahmen Brüsseler und Lütticher Polizisten im Sommer 1942 an der ersten großen Razzia in ihren Städten teil. Danach verboten die Bürgermeister dort weitere solche Einsätze. Der Antwerpener Bürgermeister, der katholische Politiker Leo Delwaide, war ein Anhänger der »neuen Ordnung«. Er ließ die Behörden rücksichtslos agieren. Obwohl durch die vorherige Vertreibung aus ihrem Wohnort mehr Juden in Brüssel lebten, als in der Hafenstadt, gab es mehr Durchsuchungen und Verhaftungen in Antwerpen als in Brüssel. Auch als die Deutschen im Sommer 1942 verfügten, die Juden hätten den gelben Stern zu tragen, verhielten sich die Kommunalbehörden unterschiedlich engagiert. Die meisten fügten sich. Die Bürgermeister von Brüssel und Lüttich weigerten sich jedoch, »an einer Maßnahme mitzuwirken, die einen Anschlag auf die Menschenwürde

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